Category Archives: NATO

Ist Veränderung möglich?

Oder: Wie aus Energieeffizienz bei der NATO “Smart Energy” wurde, wie lange es dauern kann, bis sich ein neues Thema durchsetzt und wie man auf dem Weg dahin Frust vermeidet

Farshad Mohammad-Avvali, Brüssel

Eine Diskussion ueber das Fuer und Wider einer Karriere bei grossen bzw. kleinen Organisationen oder Firmen anzustossen, ist bei aller Wichtigkeit des Themas sicherlich nichts Neues und vielleicht auch nichts Spannendes. Im Endeffekt finden wir uns in der philosophischen Weisheit des “Es kommt ja darauf an, was Du moechtest”. Jedoch bleibt es ein staendiger Begleiter in meinen Gespraechen mit NATO-Menschen: Man koenne bei solch einer grossen Organisation doch nichts veraendern. Sich wirklich effektiv einzubringen sei nur einigen wenigen vorbehalten. Diese Leute sitzen am oberen Ende der Hierarchie.

“Genießt den Weg, Frust bringt meist nichts!”

In diesem Beitrag moechte ich diese Sichtweise diskutieren, und zwar anhand eines Themas welches ich seit Anfang meiner NATO-Zeit bearbeite: Energieeffizienz im Militaer, auch bekannt unter dem feschen Label “Smart Energy”. An diesem Beispiel moechte ich ganz gross fuer den Genuss des Weges werben und gleichzeitig darauf hinweisen, dass Frust ueber das oft im Grauen liegende Ziel meist nichts bringt.

Energiesicherheit: Kein traditioneller NATO-Arbeitsbereich

Mit dem Referat Energiesicherheit bin ich nicht gerade im dem traditionellen Arbeitsbereich der NATO gelandet. Hier geht es weder um Militaertechnologie oder Politikanalyse noch um Nuklearstrategie oder Verteidigungsplanung. Scheinwerferlicht faellt nicht oft auf unsere Arbeit. Selten sieht man unsere Referatsleiter in den 20-Uhr-Nachrichten. Obwohl es nie an hoch spannenden Themen mangelt, werden sie politisch oft nicht prioritisert .

15 Monate Netzwerken, Wissensaneignung, Projektplanungen

Als ich im Maerz 2012 zur NATO kam, war die Diskussion um Energieeffizienz im Militaer recht frisch und blieb meist innerhalb meines Referates. Zusammen mit meiner Kollegin wurde es meine Hauptaufgabe, dieses Thema staerker in den Mittelpunkt zu ruecken. Die naechsten 15 Monate waren gefuellt mit Netzwerken, Wissensaneignung, Projektplanungen, Expertenbeschaffung, Verfassen von Berichten und Artikeln, Aufsetzen eines Onlineportals, Beratungen mit Nationen, Diskussionen ueber die genauere Ausgestaltung des Themas und so weiter.

Und das Projekt steht

Zum jetztigen Zeitpunkt steht das Label “Smart Energy” und das Projekt “Smart Energy Team”. Wir sind acht Experten aus acht Laendern, die nach den besten Smart-Energy-Loesungen suchen. Eine Zeitschrift zu Energiesicherheit bringt eine Sonderausgabe zum Thema heraus und das Onlineportal LibGuide Smart Energy bietet Artikel, Studien und News zu Smart Energy an.

Weshalb der Weg zaehlt…

Trotzdem kann man jetzt nicht wirklich behaupten, wir haetten bis dahin den grossen Coup gelandet. Wir hatten kaum politische Sichtbarkeit erlangt und agierten auf dem allseits bekannten Working Group Level. Unser Ziel der Interoperabilitaet von Smart-Energy-Loesungen liegt noch ganz weit weg und noch kochen alle Nationen schoen ihr eigenes Sueppchen, wenn sie Energie im Militaereinsatz sparen wollen. Nein, wir haben nicht viel bewegt. Ist das nun beklagenswert? Vielleicht, aber…

Schatz an persoenlichen Erfahrungen

Meine persoenliche Erfahrungen, die ich immer noch durch dieses Projekt sammle, sind enorm. So lerne ich nicht nur ein spannendes Fachgebiet besser kennen, sondern kann auf ein fantastisches Netzwerk an sehr interessanten Persoenlichkeiten aus Militaer, Behoerden und Firmen zurueckgreifen. Ich bin live dabei, wie ein Thema an Bedeutung gewinnt und wie andere Akteure mehr und mehr Interesse daran finden.

Entscheidungsprozesse brauchen Zeit

Nein, noch ist der Panzer nicht gruen geworden, noch immer verballern Militaers Unmengen an Treibstoff in Einsaetzen. Fuer mich sind die Lernerfolge jedoch immens und ich faende es schade, dies zu vernachlaessigen, weil Entscheidungsprozesse in einer Internationalen Organisation mit 28 Laendern eben dauern.

Green-Defence-Initiative

Es ist sehr viel wert, ein Projekt von Anfang an begleitet zu haben und die Begeisterung fuer das Ziel auf dem Weg ausbauen zu koennen. Und nun scheinen sogar die Spitze der NATO sowie einige Nationen Smart Energy fuer sich entdeckt zu haben. Litauen und Daenemark fordern vom General Sekretaer eine “Green Defence”-Initiative, die die Ziele des Projektes im vollen Umfang beinhaltet. Eine weitere Beratung in einer Sitzung des Nordatlantikrates scheint durchaus moeglich.

Der Weg als persoenlicher Lerngewinn

Was will ich damit sagen? Eine gruene NATO wird damit sicherlich nicht entstehen, und vielleicht stirbt diese Idee in den Wirren andere Debatten auch ab. Trotzdem sehe ich absolut keinen Grund fuer Frust. In meiner momentanen beruflichen Lage und Position bei der NATO geht es mir nicht darum, den Laden da aufzuraeumen. Vielmehr lerne ich nicht nur Fachliches, sondern auch wo genau meine Staerken liegen. Und wenn das alles die Persoenlichkeit und berufliche Perspektive staerkt, kann ich die Ungewissheit des finalen Ausgangs verkraften. Schauen wir mal, was Anders damit macht, bevor er abdankt.

Mit offenen, unvoreingenommenen Augen

Ich moechte hiermit jeden ermuntern, nicht vorschnell zu urteilen, dass man als Praktikant/Consultant/Berufseinsteiger eh nichts veraendern kann und noch nicht mal die Schraeubchen anfassen darf. Vielmehr sollte man die Chancen nutzen, so viel aus den moeglichen Erfahrungen mitzunehmen, besonders wenn das Team und die Arbeitsbedingungen grandios sind (nochmals, grossen Dank an das Energiesicherheitsreferat der NATO!). Mit offenen und unvoreingenommenen Augen erkennt man Chancen zur Veraenderung zum Besseren sowieso besser. Dies ist kein Egoismus, sondern eine gesunde Bescheidenheit und Offenheit.

Happy birthday! 10 Jahre CSP-Netzwerk

Unglaublich aber wahr: Das CSP-Netzwerk wird heute zehn Jahre alt!

Vor 10 Jahren: Carlo-Schmid-Alumni gründen das Netzwerk

Vor zehn Jahren wurde der Verein, der sich zum Ziel gesetzt hat, ein Forum für internationale Fragen zu bieten, Interessenten über einer Karriere in internationalen Institutionen zu informieren und die Vernetzung von ehemaligen Carlo-Schmid-Stipendiaten und Partnern zu fördern, in Berlin gegründet. In der Zwischenzeit umfasst das Alumni-Netzwerk 500 Mitglieder in mehr als 25 Ländern – die alle verbindet, dass sie als Deutsche ein vom Carlo-Schmid-Programm gefördertes Praktikum in internationalen und europäischen Organisationen absolviert haben.

Austausch, Vernetzung, Diskussion

Neben Veranstaltungen zu Fragen der internationalen Politik und Zusammenarbeit finden regelmäßig Mitgliedertreffen statt, die Raum zum Austausch, zur Vernetzung und zur Diskussion aktueller internationaler Themen bieten. Das Intranet ermöglicht, mit anderen Alumnis in Kontakt zu treten und im Rahmen von Mentoren-Verbindungen unterstützen ehemalige Netzwerkler, die die frisch dazugekommen sind.

Wer steht hinter dem Netzwerk?

Was sind das für Leute, die sich im Netzwerk engagieren? Wie ging damals bei ihnen alles los und was machen sie heute? Weshalb haben sie sich nach dem Ende des Carlo-Schmid-Programms dafür entschieden, sich weiter für das Netzwerk zu engagieren? Und was genau macht das Netzwerk?

Alter Hase – und neu dabei

Ich habe mich mit Ulrich Jürgensen, einem Netzwerkler und Vorstandsmitglied der ersten Stunde, und Sascha Knöpfel, der letztes Jahr sein Praktikum beendete und im derzeitigen Vorstand mitmischt, unterhalten.

1) Wo und wann warst du mit dem Carlo-Schmid-Programm im Ausland?

Ulrich: Ich war im zweiten Jahrgang des Carlo-Schmid-Programms (2002/2003) fünf Monate in Brüssel Stagiaire im Kabinett der damaligen EU-Kommissarin Schreyer. In den ersten Jahrgängen war es noch möglich, wenn man erfolgreich am regulären Auswahlverfahren der EU-Kommission teilgenommen hatte, sich parallel um eine ergänzende Förderung in der Programmlinie A des Carlo-Schmid-Programms zu bewerben.

Sascha: Ich war im elften Jahrgang, das war das Jahr 2011/2012, mit dem CSP bei der NATO. Ich habe direkt im Hauptquatier in Brüssel gearbeitet und war dort in der Sektion für Raketenabwehr tätig.

2) Was machst du jetzt?

Ulrich: Ich bin seit einem Jahr Referent im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Spätestens seit dem CSP-Praktikum hatte ich vorgehabt, an der Schnittstelle zwischen deutschen Ministerien und europäischen bzw. internationalen Institutionen zu arbeiten. Auch wenn ich noch nicht in der Abteilung Europa / Internationales arbeite und auch nicht unmittelbar dort arbeiten werde, ist doch die Möglichkeit mittlerweile real.

Mein langer Umweg führt mich über einen gescheiterten Promotionsversuch, das juristische Referendariat mit vielen europalastigen Stationen, Mitarbeit bei Immobilien Due Diligences zur Leitung einer Kontaktstelle beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag zu Produkt- und Markenpiraterie aus China und mehreren Jahre in der Verwaltung verschiedener Forschungseinrichtungen: Irgendwie sind alle Stationen aus sich heraus erklärbar, und die Erfahrungen ergänzen sich wirklich gut, finde ich. Aber trotz allem guten Willen mir selbst gegenüber ist eine gerade Linie nicht unbedingt auf den ersten Blick erkennbar.

Sascha: Nach dem Ende meiner Zeit in Brüssel habe ich meine Promotion angefangen. Ich bin derzeit am Centre for Science and Security Studies am King’s College in London und schreibe zum Thema nukleare Abrüstung. Das Interesse an der Sicherheitspolitik hält, wie man sieht, also weiter an.

3) Weshalb hast du dich dafür entschieden, dich nach deiner Zeit als Carlo-Schmid-Stipendiat im Netzwerk zu engagieren?

Ulrich: Mir fallen drei Gründe ein: Ein Alumni-Verein ist für das CSP wirklich sinnvoll; ich hatte viele Vorerfahrungen und Lust, sie zu nutzen; mit so tollen Leuten wollte ich ganz egoistisch in Kontakt bleiben.

Ich fand zunächst die Idee der Stipendiaten unmittelbar einleuchtend, dass das Programm nur dann wirklich seine Wirkung entfalten kann, wenn man als Stipendiat im Anschluss auch vereinfachten Zugang zu den Erfahrungen der anderen Praktikanten haben kann, insbesondere wenn zu einem späteren Zeitpunkt auch Ehemalige dazukommen würden, die in den verschiedenen Bereichen tatsächlich beschäftigt sind.

Außerdem hatte ich einige Erfahrungen als Freiwilliger im deutsch-amerikanischen Jugendaustausch, als ehemaliger FES-Stipendiat, beim Studentenforum des Tönissteiner Kreises und nicht zuletzt als Jurist gemacht, die mir Ideen für und Lust auf die anstehende Aufgabe machten, ein lebendiges Netzwerk mitzugestalten.

Das wichtigste für mich, wie fast immer, wenn ich mich irgendwo engagiert habe, war jedoch, dass ich beim CSP viele interessante, intelligente und zudem anderen zugewandte junge Menschen kennengelernt habe, mit denen ich ganz egoistisch in Kontakt bleiben wollte.

Sascha: Ich denke grundlegend war, dass ich gesellschaftlich aktiv werden wollte, gerne auch ehrenamtlich. Die Mitarbeit im CSP-Netzwerk war hier eine gute und naheliegende Möglichkeit. Ich hatte Erfahrung im und mit dem Programm und fühlte mich im Bereich der Internationalen Zusammenarbeit wohl. Nicht zuletzt spielten wohl auch die guten Beziehungen mit anderen Stipendiaten eine Rolle.

4) Wie würdest du jemandem, der noch nie vom CSP-Netzwerk gehört hat, kurz erklären, um was es geht?

Ulrich: Ein inhaltlich-sachlicher Versuch: Vielseitige und interessante Menschen werden von DAAD und Studienstiftung gefördert, um bei internationalen Organisationen im weitesten Sinne Praxiserfahrung zu sammeln – das Netzwerk verknüpft sie miteinander und mit allen Ehemaligen. So können Erfahrungen ausgetauscht, aber vielleicht auch allgemeine Trends und Themen kritisch hinterfragt und diskutiert werden.

Ein sehr persönlicher Versuch: Ich habe das CSP-Netzwerk in meiner aktiven Zeit als Verein mit ausnahmslos interessanten Persönlichkeiten erfahren, in dem es in jeglicher Konstellation immer wieder Spannendes zu erfahren gibt, und in dem nicht lamentiert wird, sondern in achtsamer, kooperativer und konstruktiver Weise quasi aus dem Nichts immer wieder Großartiges entwickelt werden kann. Das war eine einzigartige Erfahrung.

Sascha: Das CSP-Netzwerk ist der offizielle Alumni-Verein des Carlo-Schmid-Programms. Als solcher vernetzen wir ehemalige CSP’ler und fördern den Kontakt und Synergien untereinander, ähnlich wie das auch andere Alumni-Werke tun.

5) Wenn du auf deine Zeit als Netzwerkler zurückblickst: Gibt es ein Highlight dieser Zeit? Was war schwierig?

Ulrich: Ganz klar: Das erste Herbsttreffen! Man muss schon sagen, dass sich unsere vorangegangene wirklich intensive Debatte gelohnt hat, wie ein großes gemeinsames jährliches Treffen aussehen müsste (das „Big Event“ hieß es in der Planung). Es sollten ja auch in den Folgejahren viele kommen. Und das erste Herbsttreffen war sowohl inhaltlich als auch in seinen Rahmenbedingungen wirklich spektakulär. Viele Fotos schmücken noch unsere Homepage.

Doch davor war Krise. Das stark auf Nationbuilding und Irak fokussierte thematische Konzept schien nicht sauber aufzugehen und wurde zunächst stark hinterfragt. Nach heißen Verteilerdebatten konnten wir uns auf eine inhaltliche Öffnung einigen. Noch größer waren die finanziellen Schwierigkeiten. Es war unklar, wie wir das Treffen stemmen sollten. Doch aufgrund von kurzfristig frei werdenden Mitteln konnte uns der DAAD in quasi letzter Minute großzügig helfen, unsere Ideen vollständig umzusetzen.

Mühe und Glück hatten also einen gleich großen Anteil.

Sascha: Die mehrmals im Jahr stattfindenden Treffen des Netzwerks waren alle auf ihre Weise Highlights füer mich. Obwohl es schwer ist, hier einzelne herauszupicken, war eine Zusammenkunft im Sommer 2012 in Berlin – bei strahlendem Sonnenschein, direkt am Wasser, und mit sehr interessanten Leuten – eine besonders schöne Erfahrung. Eine der Hauptschwierigkeiten ist, sich diese und die vielen weiteren guten Erfahrungen und resultierenden Bekanntschaften zu erhalten. Zum Glück hilft bei der Bewältigung dieser Herausforderung das Netzwerk selbst kräftig mit.

Interview: Jennifer Eggert

NATO: Traditionelle Militäraufgaben oder moderne Sicherheitsorganisation?

Farshad Mohammad-Avvali, Brüssel

Ein Jahr NATO – ein persoenlicher Rueckblick

Nun nähere ich mich dem Tag, an dem sich mein Arbeitsbeginn bei der NATO zum ersten Mal jährt und es wäre womöglich nicht schlecht, eine Bestandsaufnahme zu machen. Was ist alles passiert? Wie lief es in meinem Arbeitsbereich? Das Leben in Brüssel? Genug Themen gibt es sicherlich. Diesen Fragen möchte ich mich in aller Kürze wenden, darauf folgend jedoch vor allem eine Fragestellung behandeln, der ich in meiner Zeit bei der NATO immer wieder begegnet bin: Ist die NATO noch traditionelle Militär- oder schon progressive Sicherheits-organisation?

Insgesamt sehr zufrieden

Insgesamt bin ich mit meiner Arbeit sehr zufrieden. Wie bei vielen großen Arbeitgebern kommt es wohl sehr auf das direkte Umfeld an. Ich kenne einige Kollegen, die absolut unglücklich sind. Dies kann mit den Vorgesetzten, den Arbeitsfeldern oder dem eigenen Verantwortungs-bereich zu tun haben und hängt daher  also nicht spezifisch von der NATO als Arbeitgeber ab. An meiner Arbeit habe ich immer noch große Freude, aus denselben Gründen wie schon in meinem ersten Blogbeitrag erwähnt.

Umstrittener Wandel

Ich möchte jedoch diesen Eintrag nutzen, um über etwas anderes zu sprechen, vielleicht etwas, das eben zumindest teilweise ein Merkmal der NATO ist: der immer noch umstrittene Wandel der NATO von einer traditionellen Militärorganisation zu einer progressiveren Sicherheits-organisation. Dieses Thema begegnet mir besonders in meiner Arbeit in der Emerging Security Challenges Division, wo wir zu Sicherheitsthemen wie Cyber, Terrorismus, Energie, strategische Analysen etc. arbeiten, fast täglich.

Die Verteidigungsklausel neu interpretiert

Sicherlich, die meisten NATO-Menschen würden das Label „Sicherheitsorganisation“ nicht ablehnen, hat sich doch das faktische Politikfeld der NATO schon recht früh nach dem Kalten Krieg verändert. Bosnien, Kosovo, der Bündnisfall nach 9/11, maritime Missionen gegen Terrorismus und Piraterie, die Libyenoperation – die post-Eisener-Vorhang-Missionen der NATO ermuntern doch schon zu recht viel Kreativität im Umgang mit der  kollektive Verteidigungsklausel des Artikel 5 des Washingtoner Vertrages:

“Die Parteien vereinbaren, daß ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle angesehen wird; sie vereinbaren daher, daß im Falle eines solchen bewaffneten Angriffs jede von ihnen in Ausübung des in Artikel 51 der Satzung der Vereinten Nationen anerkannten Rechts der individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung der Partei oder den Parteien, die angegriffen werden, Beistand leistet, indem jede von ihnen unverzüglich für sich und im Zusammenwirken mit den anderen Parteien die Maßnahmen, einschließlich der Anwendung von Waffengewalt, trifft, die sie für erforderlich erachtet, um die Sicherheit des nordatlantischen Gebiets wiederherzustellen und zu erhalten.

Tatsächlich wurde der Artikel 5 nur ein einziges Mal in der Geschichte der NATO ausgerufen, nämlich nach dem 11. September 2001. Es sei zu vermerken, dass die Autoren des Artikel 5 wohl kaum das Szenario der kommerziellen Flugzeuge, die von nicht-staatlichen Akteuren in zivile und Regierungsgebäude gejagt werden, im Sinn hatten. Vielmehr war es die Bedrohung eines sowjetischen Einmarsches in das Bündnisgebiet, in ganz traditioneller Form mit Panzern und dergleichen, oder ein nuklearer Angriff. Viele andere Militärmissionen liefen nicht unter Artikel 5 und haben deutlich den Schutz der zivilen Bevölkerung als Ziel formuliert (z.B. Bosnien, Lybien). Die Unterstützung der NATO in Pakistan nach dem verherrenden Erdbeben in 2004 hat eine noch deutlichere humanitäre Dimension.

Umfassende Sicherheitspolitik oder klassische Verteidigung?

Jedoch erfahre ich regelmäßig wie schwer sich einige Alliierte mit der Rolle der NATO außerhalb der klassischen Felder einer gemeinsamen Verteidigungspolitik, d.h. Abschreckung, Abwehr und Vergeltung von militärischer Aggression, arrangieren können. Andere Nationen sehen genau in jenen Fragen der Energiesicherheit, Cybersicherheit oder Terrorismus ihre elementaren Sicherheitsinteressen bedroht und wollen, dass die Allianz als operationelles Forum dient, um gemeinsam solche Risiken zu beseitigen oder zu kontrollieren.

Argumente gegen einen weiter gefassten Sicherheitsbegriff

Das Argument der Gegner einer progressiveren Sicherheitskonzeption der NATO haben gewichtige Gründe in den Raum zu werfen: Eine Vielzahl andere Organisationen kümmert sich genau um diese Themen, darunter die OSZE, die EU, die IEA. Warum sollte die NATO zu Duplikationen beitragen? Stattdessen sollte die Allianz ihren Kernauftrag, das NATO-Territorium mit militärischen und politischen Mitteln zu beschützen, treu bleiben. Dieses Argument ist nicht von der Hand zu weisen. Tatsächlich sind Redundanzen und mangelnde Absprache zwischen internationalen Organisationen ein besonderes Problem. Die NATO kann und sollte sich nicht mit allem und jedem beschäftigen. Leider werden internationale Stäbe oft dazu verleitet, genau das zu tun. Auf das berühmte added value wird oft verwiesen, aber nicht selten in sehr kreativer Weise.

Added value der NATO

Jedoch hat die NATO gerade in ihrer Wandelbarkeit sich als gewichtigste Sicherheitsorganisation der Welt bewahrt. Diese Wandelbarkeit beinhaltet auch, dass die Welt der NATO nicht nur von operationellen Erwägungen, also Militäreinsätzen, bestimmt sein muss. Energiesicherheit erreicht man sicherlich nicht, in dem man Soldaten mit dem blauen Stern an Gaspipelines stationiert. Die NATO muss nicht die führende Kraft in vielen „emerging security challenges“ sein. Aber ihr transatlantischer Charakter, die Erfahrungen im Setzen von Standards sowie der Austausch von Geheimdienstinformationen sind einfach zu wertvoll, um sie nicht auf neue Sicherheitsbedrohungen anzuwenden, nur weil man einen Cybervirus eben nicht mit Patriotraketen abschrecken kann. Es ist der transnationale Charakter vieler dieser neuen Sicherheitsfragen, die eine – sinnvolle – Einbindung der NATO so wertvoll macht. Sinnvoll bedeutet hier, dass die NATO genau dort aktiv werden soll, wo sie Expertise und Fähigkeiten generieren kann, die alle Allierten schnell und effektiv einsetzen können – im NATO-Jargon heisst das Interoperabilität oder (noch schöner) Smart Defence.

Die Wandlung ist im Grunde schon geschehen

Klassische Sicherheitspolitik wird nicht aussterben. Die Welt wird nicht im Cyberkrieg untergehen. Dafür scheinen wir in der Welt noch genug Interesse an physischen Konflikten zu haben. Diese werden jedoch immer enger mit den neuen Sicherheitsbedrohungen verzahnt zu sein. Cyberattacken nehmen beispielsweise sehr oft zusammen mit „realen“ Konflikten zu. Emerging Security Challenges sind keine Randerscheinungen der internationalen Sicherheitspolitik mehr. Will die NATO noch ernst genommen werden, so haben die Alliierten kaum eine Wahl als genau zu bestimmen, wie sich die NATO genau zu den neuen Sicherheitsrisiken, die oft gar nicht so neu sind, positionieren will. Nicht jede Aktivität der NATO führt zu einer Militärmission. Die NATO kann sehr gutes added value als unterstützende Kraft in enger Kooperation mit anderen internationalen Organisationen bieten. Die Wandlung zu einer progressiveren Sicherheitsorganisation ist im Grunde schon geschehen. Ein klares Mandat an die NATO durch die Mitgliedsstaaten fehlt oft noch.

“Wisst Ihr denn nicht, was NATO heisst??”

Ueber das Ende einer kritischen Wissensluecke

Farshad Mohammad-Avvali, Bruessel

Was ist vorteilhafter? Einen Livebericht zum Praktikum geben, kurz nachdem man angetreten ist, oder das Rekapitulieren von 7 Monaten bei den Schalkern (blau-weiss) unter den Internationalen Organisationen? Eine Kombination von beiden ist wohl clever, aber bleiben wir mal bei einer Recap meiner Zeit bei der NATO…

Natuerlich bedarf es keines gewaltigen historischen Ausholens, aber einen kleinen Lidschlag in die Vergangenheit erlaube ich mir an dieser Stelle. In meiner Schulzeit wurde ich durch die schockierten Augen meines Politiklehrers mit der NATO erstmals konfrontiert (ja, auch PoWis hatten mal ein Leben ohne Politik…). Es war die 8. Klasse und mein Lehrer starrte in leere Gesichter und fragte: “Sah ma, wisst Ihr dann nitt, was NATO heisst?? Wie kann man das denn nicht wissen?!”

Nun, ob die leeren Gesichter nun tatsaechlich nur beim Thema NATO vorhanden waren oder eher einen generellen Gemuetszustand sowie Wissensdurst widerspiegelten, sei dahingestellt (hier sollte aber mal interessanterweise eine philosophische Diskussion angeregt werden: Wissensquantitaet und Wissensdurst sind seltsamerweise nicht reziprok proportional, aber ich schweife ab…). Fakt war, dass ich beim Thema NATO immer an die blauen Alliierten im PC-Spiel Command and Conquer denken musste.

Jedoch irgendwann kam die Universitaet und auch etwas Wissen dazu und meine Vorstellungen zur NATO wurden konkreter. Dahingehend war es doch ganz sinnvoll, sich mit Sicherheitspolitik zu beschaeftigen, wenn ich die NATO als potentielle Arbeitsstelle in Betracht ziehe (wer meint, dass dies an sich logisch ist, bedenke, wir haben auch Architekten bei der NATO…). Was nun die Reaktionen des Umfeld betrifft, diese haben mir die volle Bandbreite der teils sehr negative Meinungen ueber die NATO vor Augen gefuehrt. Entlang dieser Vorstellungen moechte ich ueber meine Zeit bei der North Atlantic Treaty Organisation (mein Politiklehrer ist nun stolz wie Oskar) erzaehlen.

Wie Du gehst zur NATO? Da wimmelt’s nur von Militaer!

Richtig, die NATO ist grundsaetzlich eine militaerische internationale Organisation. Welch Ueberraschung, wenn es keine Militaers bei der NATO geben wuerde. Was aber in dieser Aussage noch steckt, ist eine recht ablehnende Haltung zu Streitkraeften insgesamt. Es ist ja im Grunde sogar was Loebliches, eine ausgepraegt kritische Haltung zu bewaffneten Menschen zu haben. Auch einige Berichte ueber heftige Alkoholkonsumereignisse (um nicht Saufgelage zu sagen) im Militaer sind keine Imagebooster. Jedoch ist vielen nicht bewusst, dass die meisten hoeheren Raenge des Militaers ueber einen akademischen Abschluss verfuegen und sehr gute Umgangsformen haben. Viele Militaers sind ausgezeichnet ausgebildet, verfuegen ueber sehr gute analytische Kompetenzen und sind nicht selten ein Segen bei Briefings, da sie auf den Punkt kommen. Meine Erfahrung mit Militaers ist fantastisch.

Abgesehen davon ist das NATO-Hauptquartier ein politisches Hauptquartier, zum Grossteil besetzt mit zivilen Mitarbeiten des Internationalen NATO-Stabs und den allierten nationalen Delegationen. Ergo: Nein, Operation Unified Protector in Libyen wurde nicht durch den gewaltigen Bizeps des US-Militaers beschlossen. Es war eine politische Entscheidung der NATO-Mitgliedsstaaten. Was mich zum zweiten Punkt bringt:

Wie Du gehst zur NATO? Die Amis beherrschen doch eh alles!

Die USA stemmt einen Grossteil des NATO-Budgets, sie verfuegen, meiner Meinung nach, ueber die mit Abstand beeindruckendsten Delegationsraeume. Ihre Diplomaten sind meist exzellent ausgebildet und sie haben auch den groessten Personalstab in der US-NATO-Delegation. Das ermoeglicht der USA sicherlich, eine besondere Stellung einzunehmen bei Entscheidungen.

Jedoch: In den Sitzungen mit den Nationen habe ich die US-Vertreter nicht wirklich als dominante Figuren erlebt. Auch wenn man es nicht gerne hoeren mag: Nicht selten war die USA sehr bemueht, einen Konsens zu etablieren, waehrend die europaeischen Allierten wie Kinder miteinander stritten. Wenn man sich dann vor Augen führt, dass die USA im Grunde genommen nicht den recht beschränkten „harten“ militärischen Beitrag von uns Europäern brauchen, bemühen sie sich recht ehrend, den Laden zusammenzuhalten. Das soll nun kein Loblied auf unserer lieben Amerikaner sein, aber eine US-Herrschaft sieht meiner Meinung nach anders aus.

Wie Du gehst zur NATO? Da bist Du eh immer beim gleichen Schlag Mensch. Und sowieso, bei der Hackordnung gehst Du als Praktikant unter!

Zwei Fragen zusammen, aber die hängen zusammen. Die Vielfalt ist wirklich beeindruckend. Nicht nur anhand der 28 Mitgliedsstaaten und deren Mitarbeiter, die vertreten sind. Sondern auch vielmehr in den Persönlichkeiten und Denkweisen. Es gibt nicht wenige Leute, die einen sehr – sagen wir mal – ungewöhnlichen Weg zur NATO hinter sich gelassen haben. Und für eine doch so militärische Organisation sind die Hierarchien überraschend flach. Sicherlich hängt es auch von Team, Arbeitsbereich und Vorgesetzen ab, aber ich kann für meine Erfahrung sagen, dass ich zu keiner Zeit zweitklassig behandelt worden bin. Interessante Aufgaben, eigene Arbeitsbereiche, unheimlich nette und fördernde Kollegen und ein genialer Boss.

Und ich kann mir diese Frage nicht verkneifen: Wie Du gehst zur NATO? Aber Du heißt doch Mohammad!

Mag sein, dass diese Frage für die allermeisten Leser des Blogs völlig irrelevant erscheinen mag. Aber ich habe diese Frage eben anderswo nicht selten gehört. Ich würde überwacht werden, auf mich würde ein extra Auge geworfen werden, vertrauliche Dokumente würde ich nicht bekommen. Fakt ist: Selten wurde und werde ich so als Deutscher wahrgenommen wie hier. Ganz gegen die Wand gefahren sind die Folks bei der NATO nicht, die sind schon ganz clever, dass sie in ihren Positionen sind. Nie werde ich folgenden Dialog mit meiner deutschen Kollegin vergessen: Where are you from? – Germany – Ah, super dann können wir ja deutsch sprechen – Ja klar gerne, ich komme aus dem Saarland, also fast Deutschland – Aha, und wo kommst Du ursprünglich her? – (Oje, mal wieder die Frage) – Weil du sprichst nicht wie ein Saarländer, wer spricht noch Hochdeutsch in Deutschland?! (lacht).

Das mag sich alles wie ein überschweifender Lobpreis auf die NATO anhören. Andere Menschen machen sicherlich auch andere Erfahrungen. Und sicherlich gibt es auch Schlechtes. So erscheint mir die emotionale und soziale Intelligenz besonders der jungen Mitarbeiter manchmal recht interessant entwickelt zu sein. Das HQ-Gebäude ist nicht blingbling wie bei den EU-Bauten, es ist ja auch ein ehemaliges Militärkrankenhaus. Aber wenn ich von der eigentlichen Arbeit spreche, kann ich mich wirklich nicht beschweren. Alles in allen kann ich von der Praktikantenzeit wirklich sehr viel Gutes berichten und ich bin sehr froh, dass ich weiter an meinen Projekten arbeiten kann.

Interview: Praktikant bei der NATO in Brüssel

Ein Interview mit Arslan Deichsel, Brüssel (2011/12)

Arslan, du warst Teil des 2011/12er-Jahrgangs. Weshalb hast du dich damals entschieden, dich für das Carlo Schmid Programm zu bewerben? Und warum ausgerechnet bei der NATO?

Ich habe erst durch das Akademische Auslandsamt meiner Universität vom Carlo-Schmid-Programm erfahren. Als ich mich näher mit den verschiedenen Angeboten auseinandergesetzt hatte, gefiel mir die Idee mehr und mehr. Ich hatte zwar schon vorher ein halbjähriges Praktikum im Ausland gemacht, aber am Ende meines Studiums war das Carlo-Schmid-Praktikum eine Möglichkeit nicht nur das Gelernte anzuwenden sondern auch eine neue interessante Perspektive zu bekommen.

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In der NATO arbeite ich im Referat für die Beziehungen zu Russland und der Ukraine. Ich hatte mich in meinem Studium und später in meiner Diplomarbeit insbesondere mit diesen beiden Ländern beschäftigt. Auch die NATO spielte eine gewisse inhaltliche Rolle. Meine Entscheidung basierte auf einer Mischung aus meinem Interesse mit und zu diesen Ländern zu arbeiten sowie der Neugier auf das Innenleben der NATO.

Du bist jetzt immer noch bei der NATO. Wie lange hast du vor, noch dort zu bleiben – und hast du schon Pläne für danach?

Noch während meines Praktikums ergab sich die Möglichkeit, als Consultant in meinem Referat zu bleiben. Mein Vertrag muss alle drei Monate verlängert werden und kann nur zwei Mal verlängert werden. Daher ist für mich Ende 2012 wohl Schluss. Natürlich würde ich sehr gern bleiben. Das Arbeiten und die allgemeine Atmosphäre gefallen mir sehr. Daher schaue ich mir in-house-Ausschreibungen an, halte aber auch Ausschau nach Jobs außerhalb der NATO. Wenn es möglich wäre, würde ich gern in einem sicherheitspolitischen Feld arbeiten.

Was hat dir insgesamt an deinem Praktikum am besten gefallen? Und was eher weniger?

Das Beste war, dass man sofort direkt in die inhaltliche Arbeit involviert und Teil des Teams wurde. Die meisten Policy-Referate sind nicht sehr groß. Daher kann man sich dort gut miteinbringen. Flache Hierarchien und enge Vernetzung erleichtern aber auch den Kontakt mit Kollegen aus anderen Referaten. Generell hat mich der international geprägte Arbeitsstil, locker aber trotzdem sehr professionell, sehr beeindruckt. Als ehemaliger Zivildienstleistender fand ich auch die Zusammenarbeit mit dem Militär sehr positiv und manchmal auch leichter als mit Zivilisten.

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Verglichen mit dem „normalen“ NATO-Praktikantenprogramm, bei dem man auch in weniger spannenden Abteilungen landen kann, ist das Carlo-Schmid-Programm sehr begehrt und bekommt die interessantesten Bereiche.

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Es fällt mir schwer, einen wirklich negativen Punkt zu finden. Neben der Verkehrsanbindung (die NATO befindet sich etwas außerhalb) ist es vor allem die Sicherheitsüberprüfung, die für jeden vor Beginn gemacht werden muss. Normalerweise dauert sie fünf bis sieben Monate – in Einzelfällen aber auch deutlich länger. Die Ungewissheit und das Überbrücken der Wartezeit sind hier das größte Problem für viele. Aber trotzdem, das Warten lohnt sich.

Hast du Tipps für Leute, die sich überlegen, sich auf das Carlo-Schmid-Programm zu bewerben?

Erstens, einfach versuchen. Neben der eigentlichen praktischen Erfahrung und der Möglichkeit in der jeweiligen Organisation zu bleiben, ist auch das Carlo-Schmid-Netzwerk ein großer Pluspunkt.

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Zweitens sollte man sich genau überlegen, wohin man möchte und mit welcher der beiden Programmlinien. Die inhaltliche Übereinstimmung ist viel wichtiger als nur den Namen einer wichtigen Organisation dem Lebenslauf hinzuzufügen. Es bringt einem selbst mehr, wenn man sich im jeweiligen Bereich schon etwas auskennt.

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Interview: Jennifer Eggert