Category Archives: 2011/12

Ist Veränderung möglich?

Oder: Wie aus Energieeffizienz bei der NATO “Smart Energy” wurde, wie lange es dauern kann, bis sich ein neues Thema durchsetzt und wie man auf dem Weg dahin Frust vermeidet

Farshad Mohammad-Avvali, Brüssel

Eine Diskussion ueber das Fuer und Wider einer Karriere bei grossen bzw. kleinen Organisationen oder Firmen anzustossen, ist bei aller Wichtigkeit des Themas sicherlich nichts Neues und vielleicht auch nichts Spannendes. Im Endeffekt finden wir uns in der philosophischen Weisheit des “Es kommt ja darauf an, was Du moechtest”. Jedoch bleibt es ein staendiger Begleiter in meinen Gespraechen mit NATO-Menschen: Man koenne bei solch einer grossen Organisation doch nichts veraendern. Sich wirklich effektiv einzubringen sei nur einigen wenigen vorbehalten. Diese Leute sitzen am oberen Ende der Hierarchie.

“Genießt den Weg, Frust bringt meist nichts!”

In diesem Beitrag moechte ich diese Sichtweise diskutieren, und zwar anhand eines Themas welches ich seit Anfang meiner NATO-Zeit bearbeite: Energieeffizienz im Militaer, auch bekannt unter dem feschen Label “Smart Energy”. An diesem Beispiel moechte ich ganz gross fuer den Genuss des Weges werben und gleichzeitig darauf hinweisen, dass Frust ueber das oft im Grauen liegende Ziel meist nichts bringt.

Energiesicherheit: Kein traditioneller NATO-Arbeitsbereich

Mit dem Referat Energiesicherheit bin ich nicht gerade im dem traditionellen Arbeitsbereich der NATO gelandet. Hier geht es weder um Militaertechnologie oder Politikanalyse noch um Nuklearstrategie oder Verteidigungsplanung. Scheinwerferlicht faellt nicht oft auf unsere Arbeit. Selten sieht man unsere Referatsleiter in den 20-Uhr-Nachrichten. Obwohl es nie an hoch spannenden Themen mangelt, werden sie politisch oft nicht prioritisert .

15 Monate Netzwerken, Wissensaneignung, Projektplanungen

Als ich im Maerz 2012 zur NATO kam, war die Diskussion um Energieeffizienz im Militaer recht frisch und blieb meist innerhalb meines Referates. Zusammen mit meiner Kollegin wurde es meine Hauptaufgabe, dieses Thema staerker in den Mittelpunkt zu ruecken. Die naechsten 15 Monate waren gefuellt mit Netzwerken, Wissensaneignung, Projektplanungen, Expertenbeschaffung, Verfassen von Berichten und Artikeln, Aufsetzen eines Onlineportals, Beratungen mit Nationen, Diskussionen ueber die genauere Ausgestaltung des Themas und so weiter.

Und das Projekt steht

Zum jetztigen Zeitpunkt steht das Label “Smart Energy” und das Projekt “Smart Energy Team”. Wir sind acht Experten aus acht Laendern, die nach den besten Smart-Energy-Loesungen suchen. Eine Zeitschrift zu Energiesicherheit bringt eine Sonderausgabe zum Thema heraus und das Onlineportal LibGuide Smart Energy bietet Artikel, Studien und News zu Smart Energy an.

Weshalb der Weg zaehlt…

Trotzdem kann man jetzt nicht wirklich behaupten, wir haetten bis dahin den grossen Coup gelandet. Wir hatten kaum politische Sichtbarkeit erlangt und agierten auf dem allseits bekannten Working Group Level. Unser Ziel der Interoperabilitaet von Smart-Energy-Loesungen liegt noch ganz weit weg und noch kochen alle Nationen schoen ihr eigenes Sueppchen, wenn sie Energie im Militaereinsatz sparen wollen. Nein, wir haben nicht viel bewegt. Ist das nun beklagenswert? Vielleicht, aber…

Schatz an persoenlichen Erfahrungen

Meine persoenliche Erfahrungen, die ich immer noch durch dieses Projekt sammle, sind enorm. So lerne ich nicht nur ein spannendes Fachgebiet besser kennen, sondern kann auf ein fantastisches Netzwerk an sehr interessanten Persoenlichkeiten aus Militaer, Behoerden und Firmen zurueckgreifen. Ich bin live dabei, wie ein Thema an Bedeutung gewinnt und wie andere Akteure mehr und mehr Interesse daran finden.

Entscheidungsprozesse brauchen Zeit

Nein, noch ist der Panzer nicht gruen geworden, noch immer verballern Militaers Unmengen an Treibstoff in Einsaetzen. Fuer mich sind die Lernerfolge jedoch immens und ich faende es schade, dies zu vernachlaessigen, weil Entscheidungsprozesse in einer Internationalen Organisation mit 28 Laendern eben dauern.

Green-Defence-Initiative

Es ist sehr viel wert, ein Projekt von Anfang an begleitet zu haben und die Begeisterung fuer das Ziel auf dem Weg ausbauen zu koennen. Und nun scheinen sogar die Spitze der NATO sowie einige Nationen Smart Energy fuer sich entdeckt zu haben. Litauen und Daenemark fordern vom General Sekretaer eine “Green Defence”-Initiative, die die Ziele des Projektes im vollen Umfang beinhaltet. Eine weitere Beratung in einer Sitzung des Nordatlantikrates scheint durchaus moeglich.

Der Weg als persoenlicher Lerngewinn

Was will ich damit sagen? Eine gruene NATO wird damit sicherlich nicht entstehen, und vielleicht stirbt diese Idee in den Wirren andere Debatten auch ab. Trotzdem sehe ich absolut keinen Grund fuer Frust. In meiner momentanen beruflichen Lage und Position bei der NATO geht es mir nicht darum, den Laden da aufzuraeumen. Vielmehr lerne ich nicht nur Fachliches, sondern auch wo genau meine Staerken liegen. Und wenn das alles die Persoenlichkeit und berufliche Perspektive staerkt, kann ich die Ungewissheit des finalen Ausgangs verkraften. Schauen wir mal, was Anders damit macht, bevor er abdankt.

Mit offenen, unvoreingenommenen Augen

Ich moechte hiermit jeden ermuntern, nicht vorschnell zu urteilen, dass man als Praktikant/Consultant/Berufseinsteiger eh nichts veraendern kann und noch nicht mal die Schraeubchen anfassen darf. Vielmehr sollte man die Chancen nutzen, so viel aus den moeglichen Erfahrungen mitzunehmen, besonders wenn das Team und die Arbeitsbedingungen grandios sind (nochmals, grossen Dank an das Energiesicherheitsreferat der NATO!). Mit offenen und unvoreingenommenen Augen erkennt man Chancen zur Veraenderung zum Besseren sowieso besser. Dies ist kein Egoismus, sondern eine gesunde Bescheidenheit und Offenheit.

Gewusst wie: Auslandsstudium mit Kind

Jennifer Eggert, Frankfurt / London

Ich weiß noch genau, wie überrascht ich damals, während des Bachelor-Studiums war, als ich innerhalb einer Woche durch Zufall heraus bekam, dass zwei Freunde, die so alt und im Studium ungefähr so weit waren wie ich, kleine Kinder hatten. “Wie?! Ihr habt ein Kind? Wie macht ihr das?”

Mischung aus Erstaunen, Respekt, Neugierde, Befremden

Die Art und Weise, wie ich sie mit einer Mischung aus Erstaunen, Respekt, Neugierde und Befremden ansah, muss wohl ungefähr den Blicken entsprochen haben, die ich immer wieder erntete, als mich ich Jahre später – der Bachelor war erfolgreich abgeschlossen und auch eine Weile gearbeitet hatte ich – als meine Tochter zwei war, dazu entschließ, doch noch einmal an die Uni zu gehen und einen Master zu machen.

Studium mit Kind – natürlich geht das

Studium mit Kind – natürlich geht das. Auch im Ausland (ich ging damals von Deutschland nach Großbritannien, um an der LSE in London einen Master in Konfliktstudien zu absolvieren). Wie? Hier sind neun Dinge, die mit geholfen haben:

1) Möglichkeiten zur Kinderbetreuung

Die LSE ist eine der Universitäten in London, die einen eigenen Kindergarten für Kinder zwischen 6 Monaten und 5 Jahren unterhält. Die Warteliste ist lang, aber wenn man sich sechs Monate bis ein Jahr vorher anmeldet, hat man gute Chancen, rechtzeitig einen Platz angeboten zu bekommen.

Der Kindergarten liegt sieben Minuten zu Fuß von der Uni entfernt und hat täglich von viertel vor neun bis viertel nach sechs geöffnet – so dass man es rechtzeitig zur ersten und von der letzten Vorlesung schafft. Ohne dieses Angebot hätte ich nicht studieren können. Es lohnt sich, vor Bewerbung zu erkundigen, wie die Kinderbetreuungssituation vor Ort aussieht. Wer keinen Platz in einem Unikindergarten bekommt (weil nichtexistent oder überfüllt), kann sich nach öffentlichen und privaten Kindergärten erkundigen – oder vielleicht kommt auch eine Tagesmutter oder ein Tagesvater in Frage?

2) Finanzielle Unterstützung

Die Plätze für Kinder von Studenten waren in unserem Unikindergarten gesponsert. Was hieß, dass wir nur die Hälfte des regulären Preises bezahlten. Auch hier gilt: Ohne dieses Angebot hätte ich nicht mit Kind studieren können. Viele Stipendiengeber bieten Kinder- oder Familienzuschläge an – längst nicht alle, aber doch ein Großteil. Auch wer über BAföG gefördert wird, kann einen Kinderzuschlag beantragen.

So lange man sich nur zeitweise und zu Ausbildungszwecken im Ausland aufhält, kann man in Deutschland gemeldet bleiben und weiter Kindergeld beziehen. Und vielleicht kann man es sich sogar so einrichten, dass man nebenbei noch etwas arbeitet, zum Beispiel abends von zu Hause. Ich habe einmal in der Woche abends Deutsch unterrichtet, während mein Kind beim Babysitter war.

3) Unterstützung durch Freunde und Familie

Natürlich ist ein Studium mit Kind (genauso wie Berufstätigkeit mit Kind) umso einfacher, je mehr Unterstützung man von Freunden und Familie erhält. Ideal ist ein Partner, der hilft, oder Großeltern zum Beispiel, die in der Nähe wohnen – doch selbst wenn man das nicht hat, kann man sich ein Netzwerk von Freunden aufbauen, die einen unterstützen.

Was bei mir unglaublich von Hilfe war, war, dass ich durch meine Mitgliedschaft in einer der Hochschulgruppen schnell eine Menge neuer Freundschaften schließen konnte. Die meisten waren ein ganzes Stück jünger als ich und ganz begeistert davon, mal auf das Kind aufzupassen. Hier gilt: keine falsche Bescheidenheit, sondern um Unterstützung bitten, wenn man sie braucht. Wer nichts sagt, kriegt nichts.

4) Austausch mit anderen Eltern

Ich erinnere mich noch genau daran, wie unglaublich hilfreich es war, nach den ersten Wochen Studium nach und nach über den Kindergarten, das morgenliche Hinbringen und Abholen am Abend, andere Eltern, die an der gleichen Universität studierten, kennen zu lernen. In meinem Kurs waren viele der anderen Studenten wesentlich jünger als ich – bis zu sechs Jahre -, ein Großteil hatte nie vorher gearbeitet, war von der Schule direkt an die Uni und nach dem Bachelorabschluss ohne Zwischenstopp hier an unsere Uni gekommen. Sie waren single, hatten kein Kind – unsere Lebenswelten hätten nicht unterschiedlicher sein könnten.

Aber da waren sie dann plötzlich – die “mature students”, wie man in Großbritannien so nett sagt, die auch ein Kind hatten (oder vielleicht sogar zwei) und zum Großteil sogar ein ganzes Stück älter waren als ich. Allein zu wissen, dass man nicht alleine war, jemanden zu haben, mit dem man abends gemeinsam Richtung Kindergarten hetzen konnte, um noch rechtzeitig vor Schließung das Kind abzuholen war unglaublich hilfreich.

5) Research skills

Ich weiß nicht mehr, wieviele Stunden ich gebraucht habe, um Antworten auf all die Fragen, die sich im Vorfeld meines Studiums mit Kind stellten, zu finden. Kinderbetreuung, Wohnen, Freizeitgestaltung, Gesundheitsversorgung und und und… Viele Universitäten haben in der Zwischenzeit Informationen zum Studium mit Kind auf ihren Webseiten, teilweise gibt es Hochschulgruppen zum Thema oder auch einen uni-internen Ansprechpartner.

Falls die Uni, die man sich ausgesucht hat, keine Informationen (auf der Webseite zum Beispiel) zur Verfügung stellt – vielleicht ist eine andere Uni in der selben Stadt schon weiter und man findet dort etwas Brauchbares. Ansonsten bietet das Internet eine Fülle an Infos, auf diversen Webseite, Foren, vielleicht auch in Social-Media-Netzwerken wie Facebook, studiVZ oder LinkedIn.

6) Stolz auf die eigene Leistung sein

Wenn man verrückt genug war, sich für ein Studium zu entscheiden, dass selbst Freunde, die keine Kinder haben, im Nachhinein als das intensivste Jahr ihres Lebens bezeichnen – dann sollte man sich auch der Leistung bewusst sein, die man bringt. Ich sehe meine Freundin Mariko, deren Tochter auch in den Uni-Kindergarten ging, noch genau vor mir, wie sie irgendwann, nach einem langen Tag, den wir in der Bibliothek verbracht hatten, und nach dem wir nicht einfach nach Hause gehen und dort auf die Couch fallen konnten, sondern erst mal ein aufgedrehtes Kleinkind in seine Jacke zwängen, Richtung U-Bahn zerren und zu Hause weiter versorgen mussten – wie sie sagte: “Weißt du, Jennifer, eigentlich ist unser Diplom, wenn wir es dann irgendwann mal haben, doppelt so viel wert wie das der anderen Studenten”. Wir sahen uns an, brachen in lautes Lachen aus – aber wussten doch, dass an dem, was sie gerade gesagt hatte, etwas dran war.

Und davon abgesehen, dass dieses Bewusstsein über die eigene Leistung extrem stärkend und motivierend sein kann – es ist auch etwas, was einem nach Abschluss des Studiums etwas bringt. Wenn ich in Bewerbungsgesprächen nach Belastungsfähigkeit, Flexibilität und meinem Umgang mit Stress gefragt – dann erwähne ich immer wieder auch dieses verrückte eine Jahr an der LSE.

7) Time management skills

Ich war nie ein Taglerner. Mein typischer Tag an der Uni als Bachelor-Student sah so aus, dass ich erst einmal ausschlief, gerne bis mittags, zu Hause meine Sachen erledigte, an der Uni in der Fakultätsratssitzung saß, schnell zur Vorlesung huschte, mit Freunden zu Mittag aß, an einem Treffen der lokalen Hochschulgruppe XY teilnahm, in der Stadt unterwegs war, abends mit Freunden kochte – gelernt habe ich am liebsten spätabends und nachts, und selten früher als einen Monat vor einer Klausur.

Mit Kind änderte sich das plötzlich. Ich musste jeden Tag früh aufstehen, der Kindergarten nahm die Kleinen nur bis um zehn an. Wenn ich also vormittags schon an der Uni war und wusste, bis abends komme ich nicht nach Hause – dann konnte ich auch gleich lernen. Nachtschichten und Binge-Lernen waren nicht mehr, schließlich musste ich morgens wieder fit sein. Also habe ich zum ersten Mal in meiner Unikarriere begonnen, a) kontinuierlich und b) tagsüber zu lernen. Weil ich wusste, dass ich die Zeiten, in denen ich kindfrei war, nutzen musste, tat ich das auch.

Ich lernte jeden Tag von halb zehn oder zehn bis fünf oder sechs (mit Pausen natürlich!) und war nicht weniger effektiv als Freunde von mir, die oft erst ein oder zwei Stunden bevor ich die Bücher zuklappte und mich in Richtung Kindergarten machte, in der Bibliothek angekommen waren. Letztendlich verbrachten wir mit Lernen wahrscheinlich die gleiche Zeit – es spielt keine Rolle, wann man lernt (und schlaflose Nächte vor Prüfungen sind oft kontraproduktiver als man es sich in Anflügen von Panik einredet).

8) Eigene Grenzen kennen

So sehr es mir geholfen hat, organisiert zu sein, sich gut informiert zu haben und zu wissen, dass man Ernormes leistete, so wichtig war es auch, zu wissen, wann man ganz dringend eine Pause brauchte. Man kann mit Kind studieren, aber es ist wesentlich anstrengender als ohne. Burnout ist keine schöne Sache – es hilft, zu wissen, wann genug ist, wann die Grenzen der eigenen Leistungsfähigkeit erreicht sind.

Es ist wichtig, die Bremse zu ziehen (oder zumindest einen Gang runterzuschalten), sobald einem die ersten Anzeichen dafür, dass man fertig mit den Nerven und am Ende der Kräfte ist, auffallen. Je früher man gegensteuert, desto besser. Jetzt ist es eine gute Idee, Freunde oder Familie zu aktivieren, ein playdate oder einen Babysitter zu organisieren, was Schönes zu machen. Tee, Schokolade, ein Spaziergang, ein warmes Bad – oft sind es kleine Sachen, die schon viel helfen. Viele Unis bieten Unterstützung für überlastete Studenten an – da heißt es, sich zu informieren und falls nötig, ohne falsche Scham das Angebot in Anspruch nehmen.

9) Gelassenheit

Und wenn man dann alles ganz toll recherchiert und geplant hat, sich hier und da kundig gemacht, kindergarten-genetzwerkt und time-gemanaged hat – dann braucht man eigentlich nur noch eines: ein gesundes Maß an Gelassenheit. Gut, dann kann ich mich halt nicht in fünf Hochschulgruppen engagieren wie früher – geschenkt. Dann studier ich halt ein Semester länger, steige erst ein Jahr später wieder ins Studium ein – na und?

Ein Kind zu haben, hat mich unter anderem gelehrt, dass ein Großteil der Dinge, über die wir uns viel zu oft viel zu sehr aufregen, letztendlich so wichtig doch gar nicht sind. In jedem Fall gilt, dass keiner mehr leisten kann als es möglich ist. Es kommt nicht darauf an, so gut wie (oder besser als) die anderen zu sein, sondern das zu leisten, was du in der Situation, in der du dich befindest, zu leisten fähig bist – und das gilt übrigens für alle – ob mit oder ohne Kind.

Happy birthday! 10 Jahre CSP-Netzwerk

Unglaublich aber wahr: Das CSP-Netzwerk wird heute zehn Jahre alt!

Vor 10 Jahren: Carlo-Schmid-Alumni gründen das Netzwerk

Vor zehn Jahren wurde der Verein, der sich zum Ziel gesetzt hat, ein Forum für internationale Fragen zu bieten, Interessenten über einer Karriere in internationalen Institutionen zu informieren und die Vernetzung von ehemaligen Carlo-Schmid-Stipendiaten und Partnern zu fördern, in Berlin gegründet. In der Zwischenzeit umfasst das Alumni-Netzwerk 500 Mitglieder in mehr als 25 Ländern – die alle verbindet, dass sie als Deutsche ein vom Carlo-Schmid-Programm gefördertes Praktikum in internationalen und europäischen Organisationen absolviert haben.

Austausch, Vernetzung, Diskussion

Neben Veranstaltungen zu Fragen der internationalen Politik und Zusammenarbeit finden regelmäßig Mitgliedertreffen statt, die Raum zum Austausch, zur Vernetzung und zur Diskussion aktueller internationaler Themen bieten. Das Intranet ermöglicht, mit anderen Alumnis in Kontakt zu treten und im Rahmen von Mentoren-Verbindungen unterstützen ehemalige Netzwerkler, die die frisch dazugekommen sind.

Wer steht hinter dem Netzwerk?

Was sind das für Leute, die sich im Netzwerk engagieren? Wie ging damals bei ihnen alles los und was machen sie heute? Weshalb haben sie sich nach dem Ende des Carlo-Schmid-Programms dafür entschieden, sich weiter für das Netzwerk zu engagieren? Und was genau macht das Netzwerk?

Alter Hase – und neu dabei

Ich habe mich mit Ulrich Jürgensen, einem Netzwerkler und Vorstandsmitglied der ersten Stunde, und Sascha Knöpfel, der letztes Jahr sein Praktikum beendete und im derzeitigen Vorstand mitmischt, unterhalten.

1) Wo und wann warst du mit dem Carlo-Schmid-Programm im Ausland?

Ulrich: Ich war im zweiten Jahrgang des Carlo-Schmid-Programms (2002/2003) fünf Monate in Brüssel Stagiaire im Kabinett der damaligen EU-Kommissarin Schreyer. In den ersten Jahrgängen war es noch möglich, wenn man erfolgreich am regulären Auswahlverfahren der EU-Kommission teilgenommen hatte, sich parallel um eine ergänzende Förderung in der Programmlinie A des Carlo-Schmid-Programms zu bewerben.

Sascha: Ich war im elften Jahrgang, das war das Jahr 2011/2012, mit dem CSP bei der NATO. Ich habe direkt im Hauptquatier in Brüssel gearbeitet und war dort in der Sektion für Raketenabwehr tätig.

2) Was machst du jetzt?

Ulrich: Ich bin seit einem Jahr Referent im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Spätestens seit dem CSP-Praktikum hatte ich vorgehabt, an der Schnittstelle zwischen deutschen Ministerien und europäischen bzw. internationalen Institutionen zu arbeiten. Auch wenn ich noch nicht in der Abteilung Europa / Internationales arbeite und auch nicht unmittelbar dort arbeiten werde, ist doch die Möglichkeit mittlerweile real.

Mein langer Umweg führt mich über einen gescheiterten Promotionsversuch, das juristische Referendariat mit vielen europalastigen Stationen, Mitarbeit bei Immobilien Due Diligences zur Leitung einer Kontaktstelle beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag zu Produkt- und Markenpiraterie aus China und mehreren Jahre in der Verwaltung verschiedener Forschungseinrichtungen: Irgendwie sind alle Stationen aus sich heraus erklärbar, und die Erfahrungen ergänzen sich wirklich gut, finde ich. Aber trotz allem guten Willen mir selbst gegenüber ist eine gerade Linie nicht unbedingt auf den ersten Blick erkennbar.

Sascha: Nach dem Ende meiner Zeit in Brüssel habe ich meine Promotion angefangen. Ich bin derzeit am Centre for Science and Security Studies am King’s College in London und schreibe zum Thema nukleare Abrüstung. Das Interesse an der Sicherheitspolitik hält, wie man sieht, also weiter an.

3) Weshalb hast du dich dafür entschieden, dich nach deiner Zeit als Carlo-Schmid-Stipendiat im Netzwerk zu engagieren?

Ulrich: Mir fallen drei Gründe ein: Ein Alumni-Verein ist für das CSP wirklich sinnvoll; ich hatte viele Vorerfahrungen und Lust, sie zu nutzen; mit so tollen Leuten wollte ich ganz egoistisch in Kontakt bleiben.

Ich fand zunächst die Idee der Stipendiaten unmittelbar einleuchtend, dass das Programm nur dann wirklich seine Wirkung entfalten kann, wenn man als Stipendiat im Anschluss auch vereinfachten Zugang zu den Erfahrungen der anderen Praktikanten haben kann, insbesondere wenn zu einem späteren Zeitpunkt auch Ehemalige dazukommen würden, die in den verschiedenen Bereichen tatsächlich beschäftigt sind.

Außerdem hatte ich einige Erfahrungen als Freiwilliger im deutsch-amerikanischen Jugendaustausch, als ehemaliger FES-Stipendiat, beim Studentenforum des Tönissteiner Kreises und nicht zuletzt als Jurist gemacht, die mir Ideen für und Lust auf die anstehende Aufgabe machten, ein lebendiges Netzwerk mitzugestalten.

Das wichtigste für mich, wie fast immer, wenn ich mich irgendwo engagiert habe, war jedoch, dass ich beim CSP viele interessante, intelligente und zudem anderen zugewandte junge Menschen kennengelernt habe, mit denen ich ganz egoistisch in Kontakt bleiben wollte.

Sascha: Ich denke grundlegend war, dass ich gesellschaftlich aktiv werden wollte, gerne auch ehrenamtlich. Die Mitarbeit im CSP-Netzwerk war hier eine gute und naheliegende Möglichkeit. Ich hatte Erfahrung im und mit dem Programm und fühlte mich im Bereich der Internationalen Zusammenarbeit wohl. Nicht zuletzt spielten wohl auch die guten Beziehungen mit anderen Stipendiaten eine Rolle.

4) Wie würdest du jemandem, der noch nie vom CSP-Netzwerk gehört hat, kurz erklären, um was es geht?

Ulrich: Ein inhaltlich-sachlicher Versuch: Vielseitige und interessante Menschen werden von DAAD und Studienstiftung gefördert, um bei internationalen Organisationen im weitesten Sinne Praxiserfahrung zu sammeln – das Netzwerk verknüpft sie miteinander und mit allen Ehemaligen. So können Erfahrungen ausgetauscht, aber vielleicht auch allgemeine Trends und Themen kritisch hinterfragt und diskutiert werden.

Ein sehr persönlicher Versuch: Ich habe das CSP-Netzwerk in meiner aktiven Zeit als Verein mit ausnahmslos interessanten Persönlichkeiten erfahren, in dem es in jeglicher Konstellation immer wieder Spannendes zu erfahren gibt, und in dem nicht lamentiert wird, sondern in achtsamer, kooperativer und konstruktiver Weise quasi aus dem Nichts immer wieder Großartiges entwickelt werden kann. Das war eine einzigartige Erfahrung.

Sascha: Das CSP-Netzwerk ist der offizielle Alumni-Verein des Carlo-Schmid-Programms. Als solcher vernetzen wir ehemalige CSP’ler und fördern den Kontakt und Synergien untereinander, ähnlich wie das auch andere Alumni-Werke tun.

5) Wenn du auf deine Zeit als Netzwerkler zurückblickst: Gibt es ein Highlight dieser Zeit? Was war schwierig?

Ulrich: Ganz klar: Das erste Herbsttreffen! Man muss schon sagen, dass sich unsere vorangegangene wirklich intensive Debatte gelohnt hat, wie ein großes gemeinsames jährliches Treffen aussehen müsste (das „Big Event“ hieß es in der Planung). Es sollten ja auch in den Folgejahren viele kommen. Und das erste Herbsttreffen war sowohl inhaltlich als auch in seinen Rahmenbedingungen wirklich spektakulär. Viele Fotos schmücken noch unsere Homepage.

Doch davor war Krise. Das stark auf Nationbuilding und Irak fokussierte thematische Konzept schien nicht sauber aufzugehen und wurde zunächst stark hinterfragt. Nach heißen Verteilerdebatten konnten wir uns auf eine inhaltliche Öffnung einigen. Noch größer waren die finanziellen Schwierigkeiten. Es war unklar, wie wir das Treffen stemmen sollten. Doch aufgrund von kurzfristig frei werdenden Mitteln konnte uns der DAAD in quasi letzter Minute großzügig helfen, unsere Ideen vollständig umzusetzen.

Mühe und Glück hatten also einen gleich großen Anteil.

Sascha: Die mehrmals im Jahr stattfindenden Treffen des Netzwerks waren alle auf ihre Weise Highlights füer mich. Obwohl es schwer ist, hier einzelne herauszupicken, war eine Zusammenkunft im Sommer 2012 in Berlin – bei strahlendem Sonnenschein, direkt am Wasser, und mit sehr interessanten Leuten – eine besonders schöne Erfahrung. Eine der Hauptschwierigkeiten ist, sich diese und die vielen weiteren guten Erfahrungen und resultierenden Bekanntschaften zu erhalten. Zum Glück hilft bei der Bewältigung dieser Herausforderung das Netzwerk selbst kräftig mit.

Interview: Jennifer Eggert

Putin 3.1

Ein Jahr nach Putins Rückkehr in den Kreml hat Moskau Oberwasser

Arslan Deichsel, Brüssel (2011/12)

Kreml-Mauer_Moskwa_bKreml in der Abenddämmerung (Bild-Credit)

Zurzeit kann sich Putin nicht beklagen. Ein Jahr nach seiner formalen Rückkehr als Präsident in den Kreml steht Russland zumindest außenpolitisch glänzend da. Gleichzeitig festigt Putin seine Herrschaft, die immer autoritärerer und nationalistischer daherkommt. Trotzdem deutet vieles auf eine erneute Annäherung an den Westen hin.

Läuft…

Weder hinsichtlich einer Lösung im syrischen Bürgerkrieg, noch bei der sich weiter in Zeitlupe zuspitzenden Frage des iranischen Atomprogramms, geht momentan etwas gegen Moskaus Widerstand. Darüber hinaus sitzen russische Spitzendiplomaten bei den aktuell brisanten Entwicklungen um Nordkorea oder der dann doch nicht stattfindenden Rettung des zypriotischen Finanzsektors mit am Verhandlungstisch. Chinas neuer Präsident Xi Jinping besucht bei seiner ersten Auslandsreise Moskau und bestellt dabei gleich Jagdflugzeuge und U-Boote. Gleichzeitig hat Moskau seine Beziehungen nach Polen, sogar ins Baltikum und nach Georgien verbessert und unterstützt die NATO bei ihrem Truppenabzug aus Afghanistan.

Innenpolitisch hat es die Moskauer Führung geschafft, die Proteste, die zwischen den Dumawahlen im Dezember 2011 und nach den Präsidentschaftswahlen im März 2012 ihren Höhepunkt erreichten, durch klassisches divide et impera, nämlich gezielte abschreckende Repressionen sowie Bestechung und Abwerbung, und massive Gegenpropaganda zu ihrem eigenen Vorteil zu nutzen. Zusätzlich ist vor wenigen Tagen Boris Beresowski gestorben. Der Oligarch und ehemalige Strippenzieher der späten Jelzin-Ära hatte den jungen Putin sogar unterstützt, wurde von diesem aber bei seinem Kampf gegen die mächtigen Oligarchen aus dem Land getrieben. Aus dem Londoner Exil tat sich Beresowski in den letzten zwölf Jahren vor allem durch die Unterstützung von Putins Gegnern hervor. Die Hintergründe seines Selbstmords sind noch nicht endgültig geklärt. Doch wird das Ende des letzten politisch relevanten Oligarchen, der nicht durch Putins Gnaden Reichtum erlangte, vom Kreml als finaler Sieg ausgeschlachtet.

Im Windschatten

Während Obama, der Russland vor einem Jahr in Seoul „mehr Flexibilität“ nach seiner Wiederwahl versprach, die USA langsam aus der Krise saniert, die EU weder wichtige wirtschaftliche noch politische Reformen durchsetzen kann und Chinas neue Führungsgeneration noch Personalfragen klärt und sich generell erst einmal einarbeitet, hat Moskau sich im Windschatten der Ereignisse politisch geschickt positioniert und seinen „diplomatischen Marktwert“ gesteigert.

Dabei nutzt Moskau seine neue wie plötzliche Beliebtheit und vollführt einen Kurswechsel. Der ruppige Ton, der seit dem Georgienkrieg 2008 herrschte und sich zwischen einerseits verstärkter (und berechtigter) westlicher Kritik an der immer repressiveren russischen Innenpolitik und andererseits einer zunehmend schrilleren anti-westlichen Rhetorik in Russland hochschaukelte, ist einem höflichen Entgegenkommen und gegenseitigem Nachsehen gewichen. Diese Offenheit korrespondiert interessanterweise mit kooperativen Phasen zu Beginn von Putins erster und zweiter Amtszeit.

Erste annähernde Schritte aber kein re-reset

Liegt also ein re-reset in der Luft? Wohl kaum. Einerseits ist der Begriff für Amerikaner wie Russen negativ beladen. Außerdem ist es noch zu früh, um an dessen plötzliches Ende anzuknüpfen. Andererseits ist das Entgegenkommen der USA in Hinblick auf die geplante vierte Stufe des EPAA, der europäischen Raketenabwehr, ein enorm wichtiger Schritt, den Moskau seit Jahren fordert. Dies lässt nach fast zwei Jahren auf einen Durchbruch bei den bilateralen Verhandlungen hinter den Kulissen schließen.

Auch Moskaus Entscheidung, Zypern nicht zu helfen, verwundert auf den ersten Blick. Zumal Gazprom auf die neuentdeckten Gasfelder vor Zyperns Küste sowie der Kreml auf eine Marinebasis in Limassol, die das syrische Tartus ersetzen und zum geplanten Aufbau einer russischen Mittelmeerflotte passen würde, verzichtet haben. Natürlich hat Moskau ein Interesse daran, das europäische Bankensystem nicht zu destabilisieren, dass Russen Steuern im Inland zahlen und ihr Geld nicht in einem funktionierenden EU-Rechtsstaat (der gleichzeitig eine riesige Steueroase ist) als safe haven vor willkürlichem staatlichem Zugriff schützen und ihn gleichzeitig zur Geldwäsche missbrauchen. Außerdem hätte es der russischen Öffentlichkeit nicht gefallen, wenn Milliarden zur Rettung der Oligarchen im Ausland gezahlt würden, während zu Hause das Geld an allen Ecken fehlt und Investitionen schnell versickern. Trotzdem überrascht es, dass Moskau sich die einmalige Chance entgehen lässt, sich als Retter eines Eurostaates zu präsentieren und stattdessen die verantwortungsvolle und prinzipientreue Regionalmacht von nebenan gibt. Ebenfalls ein nicht zu übersehendes Signal.

Russland als Player in der multipolaren Welt

Diese Anzeichen eines kleinen Tauwetters geben denen Recht, die seit Längerem betonen, dass es Putin eher darum geht, international ernst genommen zu werden, als konkrete politische Ergebnisse zu erreichen. Im Kreml gibt man sich pragmatisch, auch in Hinblick auf die selbst in der heimischen Presse ausgegebenen Ziele. Sich nach außen hin auf Augenhöhe mit den USA oder China zu präsentieren und vor allem mit am Verhandlungstisch zu sitzen, ist eine Sache. Diese Position dann aber ebenso schnell für Blockaden zu nutzen eine andere. Vielen westlichen (und vor allem osteuropäischen) Hauptstädten fehlt schlicht das Vertrauen, ebenso wie die Mehrzahl der Moskauer Eliten noch von altem Misstrauen gegenüber den USA oder der NATO erfüllt ist.

Es fällt schwer, diese Putinsche Volte für eine strategische Kehrwende zu halten und zu glauben, dass er seinen Traum von einer multipolaren Weltordnung starker, souveräner Staaten aufgegeben hat, in der er Russland zu einem wichtigen Player machen wollte. Noch in Syrien hat der Kreml ohne großes Zögern und auf Kosten Hunderttausender Toter und Millionen Vertriebener verhindert, dass sich ein „libysches Szenario“, aus Moskauer Sicht ein im Mantel humanitärer Intervention getarnter regime change á la coloured revolutions, wiederholt oder sich gar als legitimes Handlungsmuster etabliert. Hier wusste Moskau auch Peking ganz eng, aber still, an seiner Seite. Als sich das Erreichen dieses Ziels abzeichnete, hat Moskau Assad prompt die Unterstützung entzogen, damit der immer mehr an Boden verlierende Präsident, durch verzweifelte, völkerrechtswidrige Handlungen, das Ansehen des Kremls nicht noch mehr beschädigt.

Zyniker…

Aus zynischer Perspektive gibt Russland seine strategischen Ziele natürlich nicht auf, nutzt aber die Gunst der Stunde, um durch Entgegenkommen sein diplomatisches Image als „strategischer Partner“ aufzubessern um aus der „Diktatoren-Ecke“ herauszukommen. Moskau hat dieses Jahr den Vorsitz der G20 übernommen und im Februar für die Leitung und Organisation des ersten Treffens bereits viel Lob erhalten. Auch mit der Winter-Olympiade 2014 in Sochi sowie der Fußballweltmeisterschaft 2018 im Blick, möchte man sich nach außen als verantwortungs- und vertrauensvolles Mitglied der Weltgemeinschaft geben. (Im Kreml hat man die Europameisterschaft vergangenen Sommer in der Ukraine genau beobachtet). Doch Putin biedert sich dem Westen nicht an und muss auch seine Glaubwürdigkeit nach innen pflegen. Daher werden russische Ermittler auch weiterhin gegen NGOs und Stiftungen als vermeintliche ausländische Agenten vorgehen. Der neue Freiraum wird sofort genutzt, um der heimischen Opposition ihre ausländische Unterstützung durch NGOs zu entziehen und die eigene Herrschaft zu verfestigen.

…und Optimisten

Die optimistische Interpretation sieht im jüngsten russischen Verhalten hingegen insgesamt einen erneuten Schritt Russlands auf den Westen zu, da sie sich mit einer allein auf Energieträgern basierenden Rentenökonomie, einer katastrophalen demographischen Entwicklung und einem unkontrollierbaren wie korrupten Beamtenapparat ironischerweise nicht in der selbst angestrebten multipolaren Welt werden halten können. Auch der Traum einer Eurasischen Union wirkt, trotz erster wichtiger Schritte, weiterhin unrealistisch angesichts der wachsenden Bedeutung der chinesischen Supermacht an den östlichen Grenzen Russlands und der mangelnden Unterstützung der ehemaligen Sowjetrepubliken, die Moskau, Washington und Peking (ja sogar Brüssel) gegeneinander ausspielen und kein Interesse haben, sich erneut unter Moskaus Führung zu stellen. Das Vorgehen gegen ausländische NGOs ist in dieser Interpretation vielmehr ein Signal an den Westen, sich nicht zu tief in die russische Innenpolitik einzumischen. Ohne regelmäßige zu erwirtschaftende Überschüsse kann sich das derzeitige Regime, das sich vor allem über wachsende soziale Zuwendungen und massive Investitionen in Militär und Rüstung legitimiert, nicht dauerhaft halten. In der Hoffnung, dass die Krise in den westlichen Staaten langsam überwunden ist und sogar eine transatlantische Freihandelszone in realistische Nähe rückt, könnte sich eine (Wieder-)Annäherung an den Westen finanziell und wirtschaftlich lohnen.

A momentum for peace after the elections in Israel?

Jennifer Eggert, London

When Benjamin Netanyahu appointed Tzipi Livni as Justice Minister and Chief Negotiator, hopes were raised amongst Western observers that Livni’s appointment constituted a window of opportunity for the resumption of Arab-Israeli negotiations. However, even with one of Israel’s leading advocates of the two-state solution in power, this seems unlikely for three key reasons.

First, Netanyahu has never been supportive of a bilateral peace process. He opposed the Oslo Accords and only endorsed the notion of an independent Palestinian state in 2009. Peace negotiations remained frozen throughout his term. His list of candidates at the elections was dominated by hard-line settlement supporters – a clear indicator that Netanyahu has not suddenly turned into a dove.

Second, even if Netanyahu was intrinsically interested in reviving the deadlocked peace process, now would not be the right time to do so. After his narrow victory in the elections Netanyahu depends on the ultra-nationalists’ and ultra-orthodoxs’ support to form a strong coalition. It is highly unlikely he will antagonise them by bringing up the controversial topic of peace negotiations. Furthermore, the majority of the Jewish-Israeli population are much more concerned by economic issues, as the centrists’ gaining ground in the recent elections (as well as recent social protests) have shown. It has often been claimed that in Israel, security trumps all other issues. However, with the decline of Palestinian violence, Palestinians are not seen as a major threat any more. Netanyahu has considerably contributed to this view by emphasising the Iranian threat.

Finally, it is vital to also consider the international context. Rather than insisting on negotiations, the Palestinian leadership focuses on international recognition. Both the US and EU have expressed their concerns vis-à-vis the Israeli settlement policy. However, with the uncertainty caused by the Arab revolutions, they will be wary of adding yet another factor of instability by questioning the status quo in Israel/Palestine.

Netanyahu’s tactical move to invite moderate figures into his government is not new. He used it throughout his last term to appease both Israeli and international critics. Centrist Livni represents a segment of society that Likud has difficulties to reach. Offering Livni the role of chief negotiatior was the price Netanyahu had to pay for her joining his forces – but given the current domestic and international context, it is unlikely her appointment will yield any major changes in the deadlocked conflict situation.

NATO: Traditionelle Militäraufgaben oder moderne Sicherheitsorganisation?

Farshad Mohammad-Avvali, Brüssel

Ein Jahr NATO – ein persoenlicher Rueckblick

Nun nähere ich mich dem Tag, an dem sich mein Arbeitsbeginn bei der NATO zum ersten Mal jährt und es wäre womöglich nicht schlecht, eine Bestandsaufnahme zu machen. Was ist alles passiert? Wie lief es in meinem Arbeitsbereich? Das Leben in Brüssel? Genug Themen gibt es sicherlich. Diesen Fragen möchte ich mich in aller Kürze wenden, darauf folgend jedoch vor allem eine Fragestellung behandeln, der ich in meiner Zeit bei der NATO immer wieder begegnet bin: Ist die NATO noch traditionelle Militär- oder schon progressive Sicherheits-organisation?

Insgesamt sehr zufrieden

Insgesamt bin ich mit meiner Arbeit sehr zufrieden. Wie bei vielen großen Arbeitgebern kommt es wohl sehr auf das direkte Umfeld an. Ich kenne einige Kollegen, die absolut unglücklich sind. Dies kann mit den Vorgesetzten, den Arbeitsfeldern oder dem eigenen Verantwortungs-bereich zu tun haben und hängt daher  also nicht spezifisch von der NATO als Arbeitgeber ab. An meiner Arbeit habe ich immer noch große Freude, aus denselben Gründen wie schon in meinem ersten Blogbeitrag erwähnt.

Umstrittener Wandel

Ich möchte jedoch diesen Eintrag nutzen, um über etwas anderes zu sprechen, vielleicht etwas, das eben zumindest teilweise ein Merkmal der NATO ist: der immer noch umstrittene Wandel der NATO von einer traditionellen Militärorganisation zu einer progressiveren Sicherheits-organisation. Dieses Thema begegnet mir besonders in meiner Arbeit in der Emerging Security Challenges Division, wo wir zu Sicherheitsthemen wie Cyber, Terrorismus, Energie, strategische Analysen etc. arbeiten, fast täglich.

Die Verteidigungsklausel neu interpretiert

Sicherlich, die meisten NATO-Menschen würden das Label „Sicherheitsorganisation“ nicht ablehnen, hat sich doch das faktische Politikfeld der NATO schon recht früh nach dem Kalten Krieg verändert. Bosnien, Kosovo, der Bündnisfall nach 9/11, maritime Missionen gegen Terrorismus und Piraterie, die Libyenoperation – die post-Eisener-Vorhang-Missionen der NATO ermuntern doch schon zu recht viel Kreativität im Umgang mit der  kollektive Verteidigungsklausel des Artikel 5 des Washingtoner Vertrages:

“Die Parteien vereinbaren, daß ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle angesehen wird; sie vereinbaren daher, daß im Falle eines solchen bewaffneten Angriffs jede von ihnen in Ausübung des in Artikel 51 der Satzung der Vereinten Nationen anerkannten Rechts der individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung der Partei oder den Parteien, die angegriffen werden, Beistand leistet, indem jede von ihnen unverzüglich für sich und im Zusammenwirken mit den anderen Parteien die Maßnahmen, einschließlich der Anwendung von Waffengewalt, trifft, die sie für erforderlich erachtet, um die Sicherheit des nordatlantischen Gebiets wiederherzustellen und zu erhalten.

Tatsächlich wurde der Artikel 5 nur ein einziges Mal in der Geschichte der NATO ausgerufen, nämlich nach dem 11. September 2001. Es sei zu vermerken, dass die Autoren des Artikel 5 wohl kaum das Szenario der kommerziellen Flugzeuge, die von nicht-staatlichen Akteuren in zivile und Regierungsgebäude gejagt werden, im Sinn hatten. Vielmehr war es die Bedrohung eines sowjetischen Einmarsches in das Bündnisgebiet, in ganz traditioneller Form mit Panzern und dergleichen, oder ein nuklearer Angriff. Viele andere Militärmissionen liefen nicht unter Artikel 5 und haben deutlich den Schutz der zivilen Bevölkerung als Ziel formuliert (z.B. Bosnien, Lybien). Die Unterstützung der NATO in Pakistan nach dem verherrenden Erdbeben in 2004 hat eine noch deutlichere humanitäre Dimension.

Umfassende Sicherheitspolitik oder klassische Verteidigung?

Jedoch erfahre ich regelmäßig wie schwer sich einige Alliierte mit der Rolle der NATO außerhalb der klassischen Felder einer gemeinsamen Verteidigungspolitik, d.h. Abschreckung, Abwehr und Vergeltung von militärischer Aggression, arrangieren können. Andere Nationen sehen genau in jenen Fragen der Energiesicherheit, Cybersicherheit oder Terrorismus ihre elementaren Sicherheitsinteressen bedroht und wollen, dass die Allianz als operationelles Forum dient, um gemeinsam solche Risiken zu beseitigen oder zu kontrollieren.

Argumente gegen einen weiter gefassten Sicherheitsbegriff

Das Argument der Gegner einer progressiveren Sicherheitskonzeption der NATO haben gewichtige Gründe in den Raum zu werfen: Eine Vielzahl andere Organisationen kümmert sich genau um diese Themen, darunter die OSZE, die EU, die IEA. Warum sollte die NATO zu Duplikationen beitragen? Stattdessen sollte die Allianz ihren Kernauftrag, das NATO-Territorium mit militärischen und politischen Mitteln zu beschützen, treu bleiben. Dieses Argument ist nicht von der Hand zu weisen. Tatsächlich sind Redundanzen und mangelnde Absprache zwischen internationalen Organisationen ein besonderes Problem. Die NATO kann und sollte sich nicht mit allem und jedem beschäftigen. Leider werden internationale Stäbe oft dazu verleitet, genau das zu tun. Auf das berühmte added value wird oft verwiesen, aber nicht selten in sehr kreativer Weise.

Added value der NATO

Jedoch hat die NATO gerade in ihrer Wandelbarkeit sich als gewichtigste Sicherheitsorganisation der Welt bewahrt. Diese Wandelbarkeit beinhaltet auch, dass die Welt der NATO nicht nur von operationellen Erwägungen, also Militäreinsätzen, bestimmt sein muss. Energiesicherheit erreicht man sicherlich nicht, in dem man Soldaten mit dem blauen Stern an Gaspipelines stationiert. Die NATO muss nicht die führende Kraft in vielen „emerging security challenges“ sein. Aber ihr transatlantischer Charakter, die Erfahrungen im Setzen von Standards sowie der Austausch von Geheimdienstinformationen sind einfach zu wertvoll, um sie nicht auf neue Sicherheitsbedrohungen anzuwenden, nur weil man einen Cybervirus eben nicht mit Patriotraketen abschrecken kann. Es ist der transnationale Charakter vieler dieser neuen Sicherheitsfragen, die eine – sinnvolle – Einbindung der NATO so wertvoll macht. Sinnvoll bedeutet hier, dass die NATO genau dort aktiv werden soll, wo sie Expertise und Fähigkeiten generieren kann, die alle Allierten schnell und effektiv einsetzen können – im NATO-Jargon heisst das Interoperabilität oder (noch schöner) Smart Defence.

Die Wandlung ist im Grunde schon geschehen

Klassische Sicherheitspolitik wird nicht aussterben. Die Welt wird nicht im Cyberkrieg untergehen. Dafür scheinen wir in der Welt noch genug Interesse an physischen Konflikten zu haben. Diese werden jedoch immer enger mit den neuen Sicherheitsbedrohungen verzahnt zu sein. Cyberattacken nehmen beispielsweise sehr oft zusammen mit „realen“ Konflikten zu. Emerging Security Challenges sind keine Randerscheinungen der internationalen Sicherheitspolitik mehr. Will die NATO noch ernst genommen werden, so haben die Alliierten kaum eine Wahl als genau zu bestimmen, wie sich die NATO genau zu den neuen Sicherheitsrisiken, die oft gar nicht so neu sind, positionieren will. Nicht jede Aktivität der NATO führt zu einer Militärmission. Die NATO kann sehr gutes added value als unterstützende Kraft in enger Kooperation mit anderen internationalen Organisationen bieten. Die Wandlung zu einer progressiveren Sicherheitsorganisation ist im Grunde schon geschehen. Ein klares Mandat an die NATO durch die Mitgliedsstaaten fehlt oft noch.

Großer Bluff und mieser Trick – David Cameron spielt mit Europa

Arslan Deichsel, Brüssel

Nur einen Tag, nachdem am 22. Januar in Berlin die politische Klasse aus Frankreich und Deutschland zum 50. Jahrestag der Unterzeichnung des Élysée-Vertrages zusammenkam und die gemeinsame Freundschaft als Fundament der europäischen Integration beschworen, hält Premier David Cameron seine lang erwartete und mehrmals verschobene Grundsatzrede zur Zukunft des Vereinigten Königreichs in der EU.

Der befürchtete Präzedenzfall

In den letzten Wochen und Monaten wurde im Inselkönigreich, wie auch in manchen europäischen Schaltzentralen, mit einem Austritt – mal als Drohung, mal als Erlösung oder in Form des angekündigten Referendums als einem ur-demokratischer Vorgang – kokettiert, der der vermeintlich finsteren Brüsseler Beamterherrschaft gegenübersteht. Sollten sich die britischen Wähler, im Falle einer Wiederwahl Camerons, bis 2017 gegen die EU votieren, wäre dies nicht nur der befürchtete Präzedenzfall, für den die gemeinsamen Verträge keine Lösung vorsehen, sondern hätte auch EU-weite Konsequenzen. Dass Cameron die weitverbreitete anti-europäische Stimmung zu Hause durch das Verknüpfen mit seiner Wiederwahl lediglich ausnutzt, ist ein ebenso offensichtlicher wie rücksichtsloser Trick.

Keine Gewinner

Wie in jüngster Zeit viele gut durchdachte Artikel nüchtern analysierten, gäbe es eigentlich keine Gewinner eines solchen Austritts. Selbst diejenigen, die davon kurzfristig profitieren würden (z.B. die Achse Paris-Berlin; siehe unten), sähen sich an anderer Stelle neuen Problemen ausgesetzt.

Politisch-institutionelle Vorbehalte: Eigeninteressen gehen vor

Es gibt zwei Komponenten, die Londons Haltung gegenüber der EU prägen, ein politisch-institutionelle und eine psychologische. Es ist vor allem der Brüsseler Beamtenapparat, der ein als wenig demokratisch legitimiertes System repräsentiert, das tief in die staatliche Souveränität eingreift und Vorschriften macht, die viele Jobs kosten, insbesondere zurzeit im für Großbritannien so zentralen Finanzbereich, dessen Vertreter seit Jahren auf Hochtouren gegen die EU lobbyieren. Dies hat natürlich seinen Ursprung in der Fehlannahme, dass der europäische Staatenbund, wie historisch oft geschehen, über die „großen Themen“ wie Außen-, Sicherheits- und Finanzpolitik schon zusammenwachsen werde. Stattdessen verfolgten die Mitglieder neidisch ihre eigenen Interessen und verteidigten ihre jeweiligen Vorteile, so dass den europäischen Institutionen zur Daseinsberechtigung nur „kleinere Themen“ wie Gurkenkrümmung und Glühbirnenstromverbrauch blieben.

Psychologische Aspekte: “Klare Kanten” statt Kompromisse

Und hier kommt die psychologische Komponente ins Spiel. Noch vor weniger als 100 Jahren regierte London das größte Imperium der Weltgeschichte, sah sich als Wiege der Industrialisierung wie auch der liberalen Demokratie sowie Sieger in zwei Weltkriegen. Warum soll sich eine Atommacht, ein permanentes Sicherheitsratsmitglied mit special relations zu den USA dem „Brüsseler Diktat“ beugen? Seit fast einem Millennium wurde die Insel nicht mehr von außen erobert. Der politische Stil ist, anders als auf dem vormals von vielen Mächten umkämpften europäischen Kontinent, nicht durch Kompromiss und Ausgleich geprägt, sondern durch „klare Kanten“ und Polarisierung. In diesem System, wo Mehrheitswahlrecht eine aggressive Presse trifft, werden vor allem die lauten und radikalen belohnt.

Interne Faktoren: Sündenbock EU?

Seit neustem kommt hinzu, dass die betonte Abgrenzung zur EU und ihren wirtschaftlichen und politischen Krisen auch von internen britischen Problemen, wie sie sich 2011 in London Bahn brachen, ablenken sollen. Der politische Diskurs ist zurzeit anti-europäisch geprägt und Politiker lassen sich nur durch das Maß der jeweiligen Ablehnung differenzieren.

Schottische Unabhängigkeitsbestrebungen

Auch wenn das Thema überhaupt nicht lustig ist, kann man ihm doch einen Lacher abgewinnen – und zwar wenn es zu den schottischen Unabhängigkeitsbestrebungen kommt. In den vergangenen Wahlen haben diejenigen politischen Kräfte in Edinburgh zugelegt, die für einen Austritt aus dem Vereinigten Königreich sind, mit zum Teil den gleichen Argumenten, mit denen London gegen Brüssel argumentiert. Nur, dass England, dem dann die Einnahmen aus dem schottischen Öl- und Gasgeschäft fehlen würde, diese als zweitrangig abtut und stattdessen die Vorteile und Stärken einer gemeinsamen Union betont und de facto seine eigenen Argumente in der anderen Diskussion entkräftet.

Was wenn…?

Tragikomisch würde es aber dann werden, wenn die schottische Regierung das für Herbst 2014 vorgesehene Unabhängigkeitsreferendum gewänne, Schottland unabhängig würde und wie angekündigt in der EU bliebe – während dann für Camerons EU-Referendum, das nach seiner möglichen Wiederwahl 2015 abgehalten werden soll, die EU-freundlichen Schotten nicht mehr abstimmen könnten.

London ist nicht Oslo oder Bern

Ein EU-Austritt wird Londons Probleme mit der EU in keinem Fall beseitigen, vor allem nicht da Großbritannien weiterhin unbedingt vom Gemeinsamen Markt profitieren möchte. Die EU-Standards und Handelsregulierungen treffen sie, siehe Norwegen oder Schweiz, ob sie nun Mitglied sind oder nicht. Der Unterschied ist, ob sie als Mitglied über deren Ausgestaltung mitbestimmen können oder sie einfach als gegeben akzeptieren müssen. Auch EFTA-Modelle wie eben Norwegen oder die Schweiz sind für UK nicht attraktiv. Oslos auf Rohstoffexport (vor allem Öl, aber auch Holz, Metalle und Fisch) basierender Wohlstand kann auf den dienstleistungslastigen britischen Markt mit seiner geschrumpften und auf Importen angewiesenen Industrie nicht übertragen werden. Auch jede Regulierung einzeln auszuhandeln, wie es die Schweiz machen muss, wäre für eine moderne und stark ausdifferenzierte Volkswirtschaft wie Großbritannien wenig geeignet.

Keine ideale Lösung für den Finanzstandort London

Darüber hinaus hätte London als Finanzstandort nicht nur gegenüber der Schweiz das Nachsehen. Vom Brüsseler Reglement befreit richten sich die britischen Hoffnungen noch stärker auf die Londoner City. Doch ist zu erwarten, dass internationale Banken weiterhin an der EU mit seiner weltgrößten Nachfrage nach Finanzprodukten interessiert bleiben und, im digitalen Zeitalter, eher ihre Frankfurter, Pariser oder Wiener Filialen ausbauen würden als London. Um weiter im kontinentalen Geschäft zu bleiben, müssten die britischen Banken, als nicht-EU-Banken, einen gewaltigen Apparat aufbauen und an jedem größeren EU-Standort permanent an die EU berichten. Da kann die City noch so viel Geld für die Torys spenden.

Fakten versus öffentliche Meinung

Es ist eindeutig: als Nein-Sager in der EU zu bleiben, um eigene Interessen zu verteidigen sowie eine Stärkung der Achse Paris-Berlin und eine Verschiebung der Gewichte nach Osten zu verhindern, wäre für London die beste Lösung. Wirtschafts- und sogar sicherheitspolitisch würde ein Austritt der britischen Attraktivität und Bedeutung schaden. Doch Cameron, der das bestimmt auch weiß, kann es aufgrund der öffentlichen Meinung, des anti-europäischen Zeitgeistes in seinem Land, nicht laut sagen.

Auch für die EU nur scheinbar eine Erleichterung

Wie bereits erwähnt, wäre es auch für die EU selbst nur eine scheinbare Erleichterung. Großbritanniens Abspaltung könnte nicht nur andere Austritte zur Folge haben, sondern auch, trotz der gestrigen deutsch-französischen Bekundungen, die Spaltung der EU zwischen einem deutsch-dominierten Norden und einem französisch/romanisch-dominierten Süden massiv verstärken, mit ungeahnten Folgen.

Noch zwei Jahre bis zur Wahl

Noch hat Cameron mindestens zwei Jahre bis zur Wahl und ein Jahr, um zu überlegen, mit welchem Maß an EU-Ablehnung er in den Wahlkampf gehen will. Dass sein Koalitionspartner, die LibDems sowie die Labour-Opposition etwas europafreundlicher sind, spricht dafür, dass die Torys wohl einen Anti-EU-Kurs fahren werden. Es ist eher unwahrscheinlich, dass Cameron versuchen wird die Deutungshoheit pro-europäisch zu verändern.

Bei verbesserter wirtschaftlicher Lage

Doch sollten sich die wirtschaftlichen Vorzeichen in der EU weiterhin verbessern, würden ihm wichtige Argumente fehlen und der britische Wahlkampf würde durch innenpolitische Probleme geprägt – und weder eine neue Olympiade, noch ein weiteres Thronjubiläum stehen zur Ablenkung bereit.

Das “Extrawurst-Szenario”

Nicht unwahrscheinlich ist aber auch ein weiteres „Extrawurst-Szenario“, wie es schon Thatcher mit dem „Briten-Rabatt“ ausgehandelt hat. Merkel, falls sie die Bundestagswahl überstehen sollte, und Holland könnten einige Zugeständnis an Cameron machen, der die Verträge wieder neu aufschnüren möchte, um mehr Flexibilität und demokratische Gerechtigkeit einzuführen. Sie könnten die Chance nutzen, durch einzelne Zugeständnisse an anderen Stellen voranzuschreiten und Cameron mit dem Argument mattsetzen, dass ER ja diese Neuverhandlung wollte und dafür eben die ein oder andere „bittere Pille“ akzeptieren muss. Sollte Cameron dann mit dem Austritt drohen, wäre es – wie hier beschrieben – eine leere Drohung, da er das Referendum nur als Vehikel zur Wiederwahl nutzt. Sollte es dann doch zum Austritt kommen, bei dem alle Beteiligten verlieren, stellt dies aber für Großbritannien den größeren Verlust und vermutlich der Abstieg in die Bedeutungslosigkeit dar. Es würde, wie Russland, als ehemalige Weltmacht und Imperium, nur noch gehalten vom ständigen UNSC-Sitz und mehreren Luft- und U-Boot-gestützten Atomwaffen. Cameron wäre dieser Eintrag in die Geschichtsbücher wohl nicht sehr lieb. Die EU-Staats- und Regierungschefs dürften sich zurücklehnen und lächelnd sagen: „David,wer nicht am Tisch sitzt, landet bald auf der Speisekarte“.

Das Carlo-Schmid-Programm

Jennifer Eggert, Wien

Waehrend – oder direkt nach dem Studium – fuer ein Praktikum ins Ausland gehen ist eine tolle Sache. Zusaetzlich zu all dem, was man auch durch ein Praktikum im Inland erhaelt (Arbeitserfahrung; einen Einblick in das, was praktisch in dem Bereich, mit dem man sich theoretisch an der Uni befasst, passiert; Berufsorientierung; Kontakte; eine gute Zeit), bekommt man automatisch auch noch die Erfahrung, sich in einem fremden Land, womoeglich einer fremden Sprache, durchschlagen zu muessen. Manchmal anstrengend, aber meistens richtig gut und sehr zu empfehlen.

Wie finanzieren?

Die Frage ist nur oft, wie sich ein solches Praktikum finanzieren laesst. Fuer deutsche Studierende gibt es eine Reihe Moeglichkeiten, eine davon ist das Carlo-Schmid-Programm. Carlo-Schmid-Stipendiaten bekommen vom DAAD und der Studienstiftung ein mindestens drei-, maximal zehnmonatiges Stipendium fuer ein Praktikum bei einer Internationalen Organisation, einer EU-Institution oder einer international taetigen NGO bezahlt.

Nicht nur Geld

Zusaetzlich zur monatlichen Stipendienrate, der Krankenversicherung, Anreisepauschale und gegebenenfalls dem Kinderbetreuungszuschlag wird ein Rahmenprogramm geboten. Dazu gehoeren zum Beispiel ein Sommerseminar und die Vernetzung mit Gleichgesinnten im CSP-Netzwerk. Seit 2001 haben hunderte Deutsche an dem Programm teilgenommen; ihr koennt euch vorstellen, wie umfassend das Netzwerk in der Zwischenzeit ist. Fuer viele (deutsche) Mitarbeiter in Internationalen Organisation ist die Foerderung durch ein Carlo-Schmid-Stipendium ein Hinweis darauf, dass man es mit einem besonders aufgeweckten und engagierten Koepfchen zutun haben koennte – ein weiterer Grund fuer eine Bewerbung, meint ihr nicht?

Wer kann sich bewerben?

Bedingungen fuer die Bewerbung sind die deutsche Staatsbuergerschaft, mindestens abgeschlossenes Grundstudium, sehr gute Englisch- und gute Kenntnisse einer weiteren Sprache und die Beschaeftigung mit internationalen Fragen waehrend des Studiums. Einzelheiten gibt es hier auf der entsprechenden Seite des DAAD. Oder hier auf der Webpraesenz der Studienstiftung. Hoert sich gut an? Finde ich auch!

Mehr zur Bewerbung und Tipps, wie man sie am besten angeht, gibt es im naechsten Post.

Dieser Artikel erschien zum ersten Mal am 19. März auf dem DAAD-go-out-Blog.

“Wisst Ihr denn nicht, was NATO heisst??”

Ueber das Ende einer kritischen Wissensluecke

Farshad Mohammad-Avvali, Bruessel

Was ist vorteilhafter? Einen Livebericht zum Praktikum geben, kurz nachdem man angetreten ist, oder das Rekapitulieren von 7 Monaten bei den Schalkern (blau-weiss) unter den Internationalen Organisationen? Eine Kombination von beiden ist wohl clever, aber bleiben wir mal bei einer Recap meiner Zeit bei der NATO…

Natuerlich bedarf es keines gewaltigen historischen Ausholens, aber einen kleinen Lidschlag in die Vergangenheit erlaube ich mir an dieser Stelle. In meiner Schulzeit wurde ich durch die schockierten Augen meines Politiklehrers mit der NATO erstmals konfrontiert (ja, auch PoWis hatten mal ein Leben ohne Politik…). Es war die 8. Klasse und mein Lehrer starrte in leere Gesichter und fragte: “Sah ma, wisst Ihr dann nitt, was NATO heisst?? Wie kann man das denn nicht wissen?!”

Nun, ob die leeren Gesichter nun tatsaechlich nur beim Thema NATO vorhanden waren oder eher einen generellen Gemuetszustand sowie Wissensdurst widerspiegelten, sei dahingestellt (hier sollte aber mal interessanterweise eine philosophische Diskussion angeregt werden: Wissensquantitaet und Wissensdurst sind seltsamerweise nicht reziprok proportional, aber ich schweife ab…). Fakt war, dass ich beim Thema NATO immer an die blauen Alliierten im PC-Spiel Command and Conquer denken musste.

Jedoch irgendwann kam die Universitaet und auch etwas Wissen dazu und meine Vorstellungen zur NATO wurden konkreter. Dahingehend war es doch ganz sinnvoll, sich mit Sicherheitspolitik zu beschaeftigen, wenn ich die NATO als potentielle Arbeitsstelle in Betracht ziehe (wer meint, dass dies an sich logisch ist, bedenke, wir haben auch Architekten bei der NATO…). Was nun die Reaktionen des Umfeld betrifft, diese haben mir die volle Bandbreite der teils sehr negative Meinungen ueber die NATO vor Augen gefuehrt. Entlang dieser Vorstellungen moechte ich ueber meine Zeit bei der North Atlantic Treaty Organisation (mein Politiklehrer ist nun stolz wie Oskar) erzaehlen.

Wie Du gehst zur NATO? Da wimmelt’s nur von Militaer!

Richtig, die NATO ist grundsaetzlich eine militaerische internationale Organisation. Welch Ueberraschung, wenn es keine Militaers bei der NATO geben wuerde. Was aber in dieser Aussage noch steckt, ist eine recht ablehnende Haltung zu Streitkraeften insgesamt. Es ist ja im Grunde sogar was Loebliches, eine ausgepraegt kritische Haltung zu bewaffneten Menschen zu haben. Auch einige Berichte ueber heftige Alkoholkonsumereignisse (um nicht Saufgelage zu sagen) im Militaer sind keine Imagebooster. Jedoch ist vielen nicht bewusst, dass die meisten hoeheren Raenge des Militaers ueber einen akademischen Abschluss verfuegen und sehr gute Umgangsformen haben. Viele Militaers sind ausgezeichnet ausgebildet, verfuegen ueber sehr gute analytische Kompetenzen und sind nicht selten ein Segen bei Briefings, da sie auf den Punkt kommen. Meine Erfahrung mit Militaers ist fantastisch.

Abgesehen davon ist das NATO-Hauptquartier ein politisches Hauptquartier, zum Grossteil besetzt mit zivilen Mitarbeiten des Internationalen NATO-Stabs und den allierten nationalen Delegationen. Ergo: Nein, Operation Unified Protector in Libyen wurde nicht durch den gewaltigen Bizeps des US-Militaers beschlossen. Es war eine politische Entscheidung der NATO-Mitgliedsstaaten. Was mich zum zweiten Punkt bringt:

Wie Du gehst zur NATO? Die Amis beherrschen doch eh alles!

Die USA stemmt einen Grossteil des NATO-Budgets, sie verfuegen, meiner Meinung nach, ueber die mit Abstand beeindruckendsten Delegationsraeume. Ihre Diplomaten sind meist exzellent ausgebildet und sie haben auch den groessten Personalstab in der US-NATO-Delegation. Das ermoeglicht der USA sicherlich, eine besondere Stellung einzunehmen bei Entscheidungen.

Jedoch: In den Sitzungen mit den Nationen habe ich die US-Vertreter nicht wirklich als dominante Figuren erlebt. Auch wenn man es nicht gerne hoeren mag: Nicht selten war die USA sehr bemueht, einen Konsens zu etablieren, waehrend die europaeischen Allierten wie Kinder miteinander stritten. Wenn man sich dann vor Augen führt, dass die USA im Grunde genommen nicht den recht beschränkten „harten“ militärischen Beitrag von uns Europäern brauchen, bemühen sie sich recht ehrend, den Laden zusammenzuhalten. Das soll nun kein Loblied auf unserer lieben Amerikaner sein, aber eine US-Herrschaft sieht meiner Meinung nach anders aus.

Wie Du gehst zur NATO? Da bist Du eh immer beim gleichen Schlag Mensch. Und sowieso, bei der Hackordnung gehst Du als Praktikant unter!

Zwei Fragen zusammen, aber die hängen zusammen. Die Vielfalt ist wirklich beeindruckend. Nicht nur anhand der 28 Mitgliedsstaaten und deren Mitarbeiter, die vertreten sind. Sondern auch vielmehr in den Persönlichkeiten und Denkweisen. Es gibt nicht wenige Leute, die einen sehr – sagen wir mal – ungewöhnlichen Weg zur NATO hinter sich gelassen haben. Und für eine doch so militärische Organisation sind die Hierarchien überraschend flach. Sicherlich hängt es auch von Team, Arbeitsbereich und Vorgesetzen ab, aber ich kann für meine Erfahrung sagen, dass ich zu keiner Zeit zweitklassig behandelt worden bin. Interessante Aufgaben, eigene Arbeitsbereiche, unheimlich nette und fördernde Kollegen und ein genialer Boss.

Und ich kann mir diese Frage nicht verkneifen: Wie Du gehst zur NATO? Aber Du heißt doch Mohammad!

Mag sein, dass diese Frage für die allermeisten Leser des Blogs völlig irrelevant erscheinen mag. Aber ich habe diese Frage eben anderswo nicht selten gehört. Ich würde überwacht werden, auf mich würde ein extra Auge geworfen werden, vertrauliche Dokumente würde ich nicht bekommen. Fakt ist: Selten wurde und werde ich so als Deutscher wahrgenommen wie hier. Ganz gegen die Wand gefahren sind die Folks bei der NATO nicht, die sind schon ganz clever, dass sie in ihren Positionen sind. Nie werde ich folgenden Dialog mit meiner deutschen Kollegin vergessen: Where are you from? – Germany – Ah, super dann können wir ja deutsch sprechen – Ja klar gerne, ich komme aus dem Saarland, also fast Deutschland – Aha, und wo kommst Du ursprünglich her? – (Oje, mal wieder die Frage) – Weil du sprichst nicht wie ein Saarländer, wer spricht noch Hochdeutsch in Deutschland?! (lacht).

Das mag sich alles wie ein überschweifender Lobpreis auf die NATO anhören. Andere Menschen machen sicherlich auch andere Erfahrungen. Und sicherlich gibt es auch Schlechtes. So erscheint mir die emotionale und soziale Intelligenz besonders der jungen Mitarbeiter manchmal recht interessant entwickelt zu sein. Das HQ-Gebäude ist nicht blingbling wie bei den EU-Bauten, es ist ja auch ein ehemaliges Militärkrankenhaus. Aber wenn ich von der eigentlichen Arbeit spreche, kann ich mich wirklich nicht beschweren. Alles in allen kann ich von der Praktikantenzeit wirklich sehr viel Gutes berichten und ich bin sehr froh, dass ich weiter an meinen Projekten arbeiten kann.