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Eine Militaerdiktatur im Paradies

Marion Sandner, Suva

Nach einer nur kurzen geschichtlichen Einfuehrung in meinem ersten Bericht auf diesem Blog ist es nun endlich an der Zeit, auf die derzeitigen politischen Ereignisse in Fidschi genauer einzugehen.

Fünf Staatsstreiche, ein Militärregime

Das durch und durch froehliche und gelassene Gemuet der Fidschianer hat sich auch durch den fuenften Coup d’Etat von 2006 und das seitdem regierende Militaerregime unter Commodore Bainimarama nicht einschuechtern lassen. Doch waehrend in anderen Laendern jeder Taxifahrer frei raus ueber die Politik philosophiert und nebenbei eine Schelte gegen die Regierung schwingt, so ist in Fidschi eine absolut entpolitisierte Gesellschaft entstanden.

Kaum politischer Aktivismus

Die wenigen AktivistInnen haben sich den beiden grossen Frauenrechtsbewegungen angeschlossen, oder dem „Citizens‘ Constitutional Forum“, das staendig wegen herbeigezogener Faelle vor Gericht belangt wird – wohl um es langfristig aus dem Weg zu raeumen. Zudem setzen sich die weit verbreiteten „community workers“ unpolitisch fuer allgemeine Solidaritaet und die Entwicklung ihrer Gemeinde ein.

Einzelne gesellschaftliche Initiativen auf dem Land

So traurig dieser Rueckzug aus dem politischen Leben aufgrund von Unterdrueckung und repressivem Vorgehen gegen Oppositionelle in den vergangenen Jahrzehnten ist, so schoen ist es doch auch zu sehen, wie das Dorfleben voran geht, wie alle fuer einander sorgen, Dorfbuechereien und andere Initiativen aus eigener Kraft aufbauen und ihre Heiterkeit und Geselligkeit bewahren. Schaut man jedoch auf die staedtischen Ballungsraeume, so erkennt man die Bedeutung funktionierender politischer Strukturen und fairer Prozesse um eine Gesellschaft dauerhaft und nachhaltig voranzubringen.

Maroder Rechtsstaat, abhängige Justiz

Der Rechtsstaat ist ziemlich marode in Fidschi. 2009 verlor die Gerichtbarkeit seine Unabhaengigkeit; die Richter wurden ihres Amtes enthoben und durch Verbuendete aus Sri Lanka ersetzt. Gegen die unabhaengige Zeitung „Fiji Times“ oder die oben genannte Nichtregierungsorganisation „Citizens‘ Constitutional Forum“ wird regelmaessig Anklage wegen „Missachtung des Gerichts“ erhoben. Auch die Individualbeschwerden, die uns ab und zu im Buero erreichen, enthalten of Kritik an der Voreingenommenheit der Gerichte. Zudem scheint die Anklage wegen „Missachtung des Gerichts“ ziemlich willkuerlich.

Der Generalstaatsanwalt ist gleichzeitig Justizminister

Wenn man Pech hat, kann man dafuer schon wegen dem Tragen einer Sonnenbrille oder dem Gaehnen im Gerichtsgebaeude belangt werden. Der Generalstaatsanwalt / Justizminister (das ist in den Inselstaaten so ueblich: aufgrund des Mangels an qualifiziertem Personal hat eine Person oft eine Anzahl von Positionen inne) findet generell recht scharfe, einschuechternde Worte. Auch er ist es, der den neuen Verfassungsentwurf fuer Fidschi aufgesetzt hat.

Auf dem Weg der Demokratisierung?

Fidschi befindet sich momentan (hoffentlich) auf dem Weg der Demokratisierung. Im vergangenen Jahr wurde eine unabhaengige und hochgeachtete Kommission ernannt und mit der Ausarbeitung eines Verfassungsentwurfs beauftragt. Der sehr umfangreiche Entwurf wurde im Dezember 2012 an die Regierung uebergeben und am naechsten Tag von der Polizei verbrannt.

Lieber keine unbequemen Fragen

Nun ist seit Maerz der Regierungsentwurf – um einiges kuerzer und mit eingeschraenktem Grundrechte-Katalog – im Umlauf. Derzeit finden oeffentliche Konsultationen und Debatten statt. Doch wenn eine unbequeme Frage kommt, kann der Commodore auf mal ein wenig harsch werden. Der Bevoelkerung wurde bis Ende April Zeit gegeben, Kommentare einzureichen. Eine hochinteressante Zeit hier in Fidschi!

Was kommt als nächstes?

Der Commodore scheint zwar nach wie vor nicht allzu empfaenglich fuer demokratische Werte und Menschenrechte zu sein, aber ganz schwarz zu reden ist die Verfassung doch nicht. Entscheidend wird sein wie sie umgesetzt wird und wer die Wahlen 2014 gewinnt – sollten diese fair ablaufen. Gerade erst hat Papua Neu-Guinea zugesagt, bei der Organisation und Durchfuehrung dieser Wahlen mit Millionen Dollars zu helfen. So ist der Commodore schon nicht mehr auf die EU mit all ihren Konditionen angewiesen.

Ambivalenter Entwurf für eine neue Verfassung

Es ist schwer zu sagen, wohin sich Fidschi gerade bewegt. Die Verfassung beinhaltet weitgehende Rechte wie jenes auf Arbeit, oeffentliche Verkehrsmittel, Bildung oder Wasser (sogenannte „wirtschafltiche, soziale und kulturelle Rechte“), schraenkt jedoch gleichzeitig jenes auf Leben, Meinungs- oder Versammlungsfreiheit, um nur einige zu nennen, unverhaeltnismaessig ein. Frauen oder indigene Rechte werden gar nicht genannt. Ferner sind die mangelnde Unabhaengigkeit der nationalen Menschenrechts-kommission sowie der weitreichende Einfluss des Militaers und die weitgehende Immunitaet von Staatsbeamten hoechst bedenklich.

Foltervorwürfe gegenüber Polizei und Militär

Ein grosses Thema, welches von der Regierung regelmaessig unter den Tisch gekehrt wird, ist das Verhalten von Polizei und Militaer. Foltervorwuerfe sind an der Tagesordnung. Gerade erst im Februar tauchte wieder ein Foltervideo im Internet auf.

Die internationale Gemeinschaft

Doch die internationale Gemeinschaft kann nicht viel mehr machen, als Fidschi zu Aufklaerungen zu draengen, woraufhin der Commodore zuletzt ganz einfach entgegenete: “At the end of the day, I will stick by my men, by the police officers or anyone else that might be named in this investigation. We cannot discard them just because they’ve done their duty in looking after the security of this nation and making sure we sleep peacefully at night.” Nun gut… Warum sollte er sich auch vom Westen einschuechtern lassen, wenn doch von Asien die Investitionen fliessen?

Militärdiktatur im Paradies

Um mit einem positiveren Eindruck von diesem in jeglicher Hinsicht atemberaubenden Land zu verbleiben, haenge ich ein paar repraesentative Momentaufnahmen der Schoenheit Fidschis an diesen Bericht an. Sie sind von Beqa Island (suedlich von Viti Levu), Molituva (einem Dorf nahe Suva, bekannt fuer seine archeologischen Ausgrabungen) und Nalilili (bekannt fuer seine franzoesische Kathedrale aus dem spaeten 19. Jahrhundert – mitten im Nirgendwo; das war wohl eine Fehlkalkulation fuer den zukuenftigen Bischofssitz). [Die Bilder sind hier zu sehen.]

Auf unseren Demokratisierungsprozess hier!

Beste Gruesse und dankeschoen fuers Lesen,
Eure Marion

Dieser Artikel erschien zum ersten Mal am 23. April auf dem DAAD-go-out-Blog.

Menschenrechtsarbeit in der Suedsee – “Liegt man da nicht in der Haengematte?”

Marion Sandner, Suva

Der Praktikumsort Fidschi lockt doch so einige Klischees an: Paradies und Frieden am anderen Ende der Welt, wo die größte Gefahr jene ist, von einer Kokosnuss erschlagen zu werden – ganz zu Schweigen von den laechelnden Fidschianern mit Blumen im Haar. Auch wenn sich diese Klischees teils bewahrheiten, meine Motivation war (größtenteils) eine andere.

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Sechs Monate Praktikum zu Menschenrechten im Pazifikraum

Nachdem ich meine Masterarbeit bereits über die Menschenrechtssituation in Fidschi, konkret über das massive Problem der ethnischen Diskriminierung, geschrieben habe, hatte ich eine grobe Vorstellung von den Herausforderungen, welche das Regionalbüro des UN-Hochkommissariats fuer Menschenrechte im Pazifikraum, wo ich gerade ein sechsmonatiges Praktikum absolviere, erwartet.

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Menschenrechtsschutz als “großzügige Dienstleistung”

Generell hat die Pazifikregion vor allem mit dem rigiden Vorgehen der Polizei / des Militärs sowie mit häuslicher Gewalt und der Unterdrückung der Frauen zu kämpfen. Menschenrechte werden weniger als Rechte des Einzelnen, sondern vielmehr der Menschenrechtsschutz als großzügige Dienstleistung von Seiten des Staates gesehen.

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“Bevor ihr kamt, gab es das Problem nicht”

Nicht selten passiert es, dass die Menschenrechtler meines Büros in Länder der Region reisen, um Menschenrechts-relevante Themen anzusprechen, und dann in etwa zu hören bekommen: “Bevor ihr kamt, gab es das Problem nicht. Nur weil ihr davon sprecht, soll es urplötzlich exisitieren. Nein, nein, nein, wir sind uns sicher, dass das Problem wieder verschwindet, sobald ihr weg seid.”

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Es kann Jahre dauern, bevor etwas geschieht

Ist eine Regierung dann doch einmal engagierter, kann es Jahre dauern bis tatsächlich etwas geschieht, wie beispielsweise derzeit in Tonga: Vor 1 ½ Jahren schon hat mein Praktikumsbetreuer eine öffentliche Gesprächsrunde mit Tongas Parlamentariern (26 an der Zahl – bei einer Bevölkerung von etwas über 100.000) über Folterprävention geplant. Doch dann wurde der König krank und die Regierung war wie gelähmt. Wenige Monate später starb der König – und das Land stand für eine Trauerphase von drei Monaten still. Nach dieser Trauerphase heiratete der Kronprinz, weswegen drei weitere Monate (aufgrund der Festlichkeiten) nichts geschah. Und kurz vor Jahresende kam es zu einer Vertrauensabstimmung der Regierung. Mal sehen, was dieses Jahr in Tonga passiert…     village-21-150x150

Keine ausgesprochen aktive Zivilgesellschaft

Leider ist die Zivilgesellschaft im Pazifikraum allgemein wenig aktiv. Die Menschen sind sich ihrer Rechte oftmals nicht bewusst, oder leben innerhalb der Familie ein genügsames Leben, fernab der Politik. Ausserhalb der Städte haben fast ausschließlich die “tribal chiefs” der “chiefly families” das Sagen. In manchen Inselstaaten, wie den Salomonen, gibt es nicht eine registrierte Menschenrechtsorganisation, geschweige den eine staatliche Menschenrechtskommission. Wenn überhaupt, handelt es sich meist um Antikorruptionsinitiativen oder Frauenrechtsgruppen.

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Seit 2006: Militärregime

In Fidschi selbst herrscht seit dem vierten Staatsstreich seiner jüngeren Geschichte 2006 ein Militärregime unter Commodore Josaia Voreqe Bainimarama. Seit die britische Kolonialmacht im frühen 20. Jahrhundert Tausende Inder ins Land brachte (zeitweise knapp über 50 % der Bevölkerung!), und vor allem seit Fidschis Unabhängigkeit 1970, hat es Spannungen gegeben. Die Indo-Fidschianer gelten als äußerst arbeitsam und wirtschaftlich erfolgreich, während sie kaum politische Mitbestimmungs- oder Landbesitzrechte haben.

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Ethnische Diskriminierung von Indo-Fidschianern

Folglich eskalierten die Spannungen über die Jahrzehnte. Ethnische Diskriminierung wurde von beiden Seiten schlimmer; viele Indo-Fidschianer flohen. Heute stellen Indo-Fidschianer 37 % der Bevölkerung. Das aktuelle Militärregime hat jedoch, in einem positiven Schritt, einige Rechte dieser Minderheit anerkannt, um so ethnische Spannungen zu reduzieren. Beispielsweise durch die Sensiblisierung von Schülern fuer die vielfaeltigen Bevoelkerungsgruppen und Sprachen.

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Demokratisierungsprozess

Momentan befindet sich Fidschi (hoffentlich!) inmitten eines Demokratisierungsprozesses. Ein Verfassungsentwurf wurde von einer unabhaengigen Kommission erarbeitet und wird seit Dezember 2012 von der Regierung überarbeitet. Politische Parteien befinden sich gerade in der Registrierungsphase. Es scheint als stehe Fidschi derzeit an einem Scheidepunkt: Es kann sich an dieser Stelle entweder für einen positiven und demokratischen Weg entscheiden – oder aber für genau die andere Richtung.

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Wenig Informationen, vergessen von der Welt?

Bei den Menschenrechts-Koordinationstreffen bekommt man regelmäßig von allen Seiten “We wait and see” zu hören. Niemand kann sagen, was sich innerhalb der Regierung abspielt; wenige Informationen dringen nach außen. Zudem wird die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit weitgehend angezweifelt. All dies stellt Stolpersteine dar auf dem holprigen Weg der Menschenrechtsarbeit in Fidschi und dem Pazifikraum im Allgemeinen. Viele sind sich dessen kaum bewusst – die Inselstaaten kritisieren zurecht, sie seien vergessen von der Welt, inmitten des Pazifiks.

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Blumen im Haar – auch im Büro

Trotz dieser zahlreichen ernsten Themen und Herausforderungen des Pazifikraumes birgt die verträumte Südsee-Romantik doch einen gewissen Wahrheitsgehalt: Auch im Bürokomplex der Vereinten Nationen haben die meisten Fidschianer Blumen im Haar, Männer (nicht nur Fidschianer!) tragen die traditionellen Röcke (“sulu”), das Kollegium trifft man barfuß beim Kaffeeholen oder auch mal Freitagnachmittags bei einer Kava-Zeremonie im Sitzkreis auf dem Parkplatz (Kava wird laut Wikipedia auch Rauschpfeffer genannt. Aus getrockeneten Pflanzenbestandteilen und Wasser wird ein traditionelles Getränk hergestellt, das, ehrlich gesagt, einer Drecksbrühe ähnelt. Der Import nach Deutschland ist derzeit verboten.) Über den Tag verteilt klopfen immer wieder Marktfrauen an der Türe, um ihre (indo-)fidschianischen Köstlichkeiten für wenige Cents zu verkaufen. So passiert es, dass sich das gesamte Büro regelmäßig zum “Morning Tea” versammelt.

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Kleinstadtalltag im Pazifik

Auch sonst zeigt sich Suva meist von seiner kleinstädtischen, charmanten (und extrem tropisch-feuchten) Seite: Beim morgendlichen Joggen rennt man schnell mal in den Premierminister auf dem Weg zum Bäcker, in den wenigen Bars und Pubs kann es passieren, dass der Präsident ein Fiji Gold ausgibt, und insgesamt gilt “Feejee Time”, fröhliche Gemütlichkeit und die Familie / Gemeinde als Rückzugsort und Friedensoase, während draußen gegen 19 Uhr die Bürgersteige hochgeklappt werden.

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Ich hoffe, damit konnte ich euch einige erste Eindrücke vom ersten Monat meiner Zeit in Fiji vermitteln. Ich freue mich immer über Kommentare oder sonstige Lebenszeichen!

Ni Sa Moce & Vinaka,

Marion

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Dieser Artikel erschien zum ersten Mal am 28. Februar auf dem DAAD-go-out-Blog.